- Deutsches Filminstitut

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- Deutsches Filminstitut
VERSO
SUD
20
Festival des
italienischen
Films
29.11. bis
10.12.2014
Deutsches
Filmmuseum
Frankfurt
am Main
Impressum
2 MIELE ≥ S. 20
BAARÌA ≥ S. 30
Veranstalter
Deutsches Filminstitut, Frankfurt
Made in Italy, Rom
I T KAM
I T CAN
Improve your business
Förderer
Ministero dei Beni e delle Attività
Culturali e del Turismo
Direzione Generale per il Cinema, Rom
Unterstützer
Consolato Generale d‘Italia, Frankfurt
Istituto Italiano di Cultura, Köln
Camera di Commercio Italiana per
la Germania, Frankfurt
Italian Quality Experience
und
Casa di Cultura e.V., Frankfurt
Programmheft
Deutsches Filminstitut, Frankfurt
Made in Italy, Rom
Redaktion
Monika Haas, Frauke Hass
in Zusammenarbeit mit
Buena Onda, Rom
DocLab, Rom
Doc & Film, Paris
Fandango, Rom
Intra Movies, Rom
Istituto Luce Cinecittà, Rom
Kairos Filmverleih, Göttingen
Movienet Filmverleih, München
MissingFilms, Berlin
PFA Films, Rom
Rai Com, Rom
Rise and Shine, Berlin
Saietta Film, Tricase
Trigon-Film, Wettigen
Veranstaltungsort / Kartenreservierung
Deutsches Filmmuseum
Schaumainkai 41
60596 Frankfurt
Tel: 069 – 961220 220
Texte
Piero Spila, Giovanni Maria Rossi, Monika Haas
Übersetzungen
Adriana Enslin, Katharina Gewehr
Gestaltung
Optik – Jens Müller
www.optik-studios.de
Weitere Informationen
Deutsches Filmmuseum
www.deutsches-filmmuseum.de
Made in Italy
www.associazionemadeinitaly.org
mit Dank an
Christos Acrivulis
Pier Francesco Aiello
Wilfried Arnold
Celeste Casciaro
Mary Condotta
Paola Corvino
Antonio Cuccuzzella
Rosemary Desiati
Cristina Di Giorgio
Daniela Elstner
Marina Grones
Lucio Izzo
Ottavia Nicolini
Claudia Oettrich
Birgit Otten
Petra Palmer
Catia Rossi
Walter Ruggle
Eva Salomon
Michele Santoriello
Helge Schweckendiek
Giuseppe Tornatore
Maria Laura Vacca
Marco Visalberghi
Edoardo Winspeare
Verso Sud 20
Festival des italienischen Films
3 FILMPROGRAMM
29.11. bis
10.12.2014
Samstag, 29.11.
Mittwoch, 03.12.
Sonntag, 07.12.
16:00 Uhr
LA MIGLIORE OFFERTA ≥ S. 29
The Best Offer – Das höchste Gebot
IT 2013. Giuseppe Tornatore.
124 Min. engl.OmU
18:00 Uhr
L’INTREPIDO ≥ S. 19
Der Furchtlose
IT 2013. Gianni Amelio. 104 Min. OmU
11:30 Uhr
20:30 Uhr
19:00 Uhr
Eröffnung Verso Sud 20
NUOVO CINEMA PARADISO ≥ S. 34
Cinema Paradiso
IT/FR 1988. Giuseppe Tornatore.
123 Min. OmeU
Zu Gast: Giuseppe Tornatore
SPAGHETTI STORY ≥ S. 23
IT 2013. Ciro de Caro. 82 Min. OmU
LA LEGGENDA DEL
PIANISTA SULL’OCEANO ≥ S. 32
Die Legende vom Ozeanpianisten
IT 1998. Giuseppe Tornatore.
165 Min. OF mit engl/frz. UT
17:00 Uhr
LA DEUTSCHE VITA ≥ S. 17
D 2014. Alessandsro Cassigoli, Tania Masi.
61 Min. OmU
19:00 Uhr
SACRO GRA ≥ S. 22
Das andere Rom
IT 2013. Gianfranco Rosi. 93 Min. OmU
Vorfilm: Tanti futuri possibili
Zu Gast: Ottavia Nicolini
Donnerstag, 04.12.
20:30 Uhr
Sonntag, 30.11.
11:30 Uhr
17:00 Uhr
19:00 Uhr
BAARÌA ≥ S. 30
Baarìa – Eine italienische
Familiengeschichte
IT 2009. Giuseppe Tornatore.
150 Min. OmU
MIELE ≥ S. 20
Honig
IT 2013. Valeria Golino. 93 Min. OmU
IN GRAZIA DI DIO ≥ S. 15
Ein neues Leben
IT 2014. Edoardo Winspeare. 127 Min. OmU
Zu Gast: E. Winspeare, Celeste Casciaro
Freitag, 05.12.
18:00 Uhr
20:30 Uhr
22:30 Uhr
Montag, 01.12.
18:00 Uhr
SPAGHETTI STORY ≥ S. 23
IT 2013. Ciro de Caro. 82 Min. OmU
20:30 Uhr
MIELE ≥ S. 20
Honig
IT 2013. Valeria Golino. 93 Min. OmU
18:00 Uhr
IN GRAZIA DI DIO ≥ S. 15
Ein neues Leben
IT 2014. Edoardo Winspeare. 127 Min. OmU
TUTTI CONTRO TUTTI ≥ S. 24
Jeder gegen Jeden
IT 2013, Rolando Ravello. 90 Min. OmU
LA MAFIA UCCIDE
SOLO D’ESTATE ≥ S. 18
Die Mafia tötet nur im Sommer
IT 2013. Pierfrancesco Diliberto.
90 Min. OmU
LA SCONOSCIUTA ≥ S. 31
Die Unbekannte
IT 2006. Giuseppe Tornatore.
118 Min. OF mit engl/frz. UT
Montag, 08.12.
18:00 Uhr
Piccola Patria ≥ S. 21
Kleines Vaterland
IT 2014. Alessandro Rossetto.
111 Min. OmeU
20:30 Uhr
L’UOMO DELLE STELLE ≥ S. 33
Der Mann, der die Sterne macht
IT 1995. Giuseppe Tornatore.
110 Min. OmU
Mittwoch, 10.12.
18:00 Uhr
IO STO CON LA SPOSA ≥ S. 16
Auf der Seite der Braut
IT 2014. Antonio Augugliaro, Gabriele
Del Grande, Khaled Soliman Al Nassiry.
98 Min. OmeU
20:30 Uhr
IL CAPITALE UMANO ≥ S. 14
Human Capital - Die süsse Gier
IT 2013. Paolo Virzì. 110 Min. OmU.
Samstag, 06.12.
16:00 Uhr
Dienstag, 02.12.
L’INTREPIDO ≥ S. 19
Der Furchtlose
IT 2013. Gianni Amelio. 104 Min. OmU
IO STO CON LA SPOSA ≥ S. 16
Auf der Seite der Braut
IT 2014. Antonio Augugliaro, Gabriele
Del Grande, Khaled Soliman Al Nassiry.
98 Min. OmeU
18:00 Uhr
Piccola Patria ≥ S. 21
Kleines Vaterland
IT 2014. Alessandro Rossetto. 111 Min. OmeU
20:00 Uhr
NUOVO CINEMA PARADISO ≥ S. 34
Cinema Paradiso
IT/FR 1988. Giuseppe Tornatore.
123 Min. OmeU Mit Vorfilm
22:30 Uhr
TUTTI CONTRO TUTTI ≥ S. 24
Jeder gegen Jeden
IT 2013, Rolando Ravello. 90 Min. OmU
Neues italienisches Kino
≥ S. 10
Hommage Giuseppe Tornatore
≥ S. 25
Grußwort
Consolato Generale d’Italia Frankfurt
4 Saluto
Grußwort
VERSO SUD feiert seine 20. Ausgabe.
Das Festival des italienischen Films
in Frankfurt, entstanden 1995 durch
einen glücklichen Einfall der Casa di
Cultura, hat sich in der kulturellen
Szene dieser Stadt als wichtiger Termin etabliert.
Die Idee eines Festivals für italienische
Filme erwies sich als so erfolgreich,
dass sie nur drei Jahre nach der
Gründung von VERSO SUD auch in
andere Städte exportiert wurde und
das Tournee-Festival Cinema! Italia!
daraus entstand. Alljährlich schickt
es aktuelle italienische Filme auf eine
Tour durch eine wachsende Zahl von
Städten in Deutschland, Österreich
und der Schweiz. Organisiert wird
Cinema! Italia! von Made in Italy und
dem Kairos Filmverleih, mit einem
Beitrag des Ministero dei Beni e delle
Attività Culturali e del Turismo sowie
der Unterstützung des ICE (Istituto
Nazionale per il Commercio Estero),
der Italienischen Botschaft und der
in Deutschland, Österreich und der
Schweiz ansässigen Italienischen Kulturinstitute und Generalkonsulate.
In den 20 Jahren seines Bestehens hat
VERSO SUD seine Identität behalten:
Neben aktuellen italienischen Filmen
hat das Publikum in Frankfurt die
Gelegenheit, seine Kenntnisse über
bedeutende Werke zahlreicher Regisseure und Schauspieler zu vertiefen,
denen seit der vierten Ausgabe von
VERSO SUD jedes Jahr eine Hommage gewidmet ist.
Viele bedeutende Filmschaffende
wurden in Frankfurt geehrt: Gianni
Amelio, die Brüder Taviani, Gillo Pontecorvo, Vittorio de Sica, Giuliano Montaldo, Gabriele Salvatores, Pupi Avati,
Pier Paolo Pasolini, Sergio Castellito,
Michelangelo Antonioni, Sergio Rubini, Paolo Virzì, Ferzan Ozpetek, Liliana
Cavani, Luigi Lo Casio und Giuseppe
Piccioni. Giuseppe Tornatore wird der
Hom­magegast der Jubiläumsausgabe
von VERSO SUD sein.
Nicht zuletzt dank ihres Erfolgs bei
VERSO SUD sind zahlreiche italienische Filme anschließend ebenso erfolgreich in deutschen Kinos gezeigt
worden, sei es in der Originalsprache
mit Untertiteln oder in synchronisierten
deutschen Fassungen. Und nicht nur
das, auch dank des Interesses vieler
deutscher Verleiher konnten immer
wieder die neuesten italienischen Filme vor dem deutschen Kinostart bei
VERSO SUD gezeigt werden: Dieses
Jahr haben Sie die Gelegenheit, Paolo
Virzìs Film IL CAPITALE UMANO
als Preview zu sehen, der Italiens Vorschlag für den Oscar 2015 ist.
Für alle bei den ersten zwanzig Festivalausgaben erzielten Erfolge möchte
ich jenen danken, die VERSO SUD
unterstützt und getragen haben: das
Deutsche Filmmuseum, Made in Italy,
das Istituto Italiano di Cultura und die
Casa di Cultura, verbunden mit dem
Wunsch, auch in den kommenden
Jahrzehnten mit der Präsentation italienischen Qualitätskinos hier in Frankfurt
fortzufahren.
Cristiano Cottafavi
Italienischer Generalkonsul in Frankfurt
Grußwort
Istituto Italiano di Cultura Köln
5 Saluto
Grußwort
Es freut mich sehr, Sie zur 20. Ausgabe
von VERSO SUD begrüßen zu können,
einem Filmfestival, das inzwischen schon
Tradition hat und nicht nur von den
Zuschauern in Frankfurt freudig erwartet
wird.
Ehrengast in diesem Jahr ist Giuseppe
Tornatore, der sowohl einen Oscar für
den Film NUOVO CINEMA PARADISO als
auch eine ganze Reihe von internationalen
Auszeichnungen erhalten hat. In Frankfurt
stellt Tornatore seinen neuesten Film LA
MIGLIORE OFFERTA sowie fünf weitere
seiner Filme vor, die ihn zu einem der weltweit bedeutendsten Regisseure gemacht
haben. Es wird sicher eine außergewöhnliche Gelegenheit für das Publikum sein,
ihn zu treffen und mit ihm über Themen,
Figuren und Ausdrucksformen seiner
Werke zu diskutieren.
In grazia di Dio ≥ S. 15
Ein anderer bedeutender Gast bei VERSO
SUD wird in diesem Jahr Edoardo Winspeare sein, ein tief in Apulien verwurzelter
Regisseur, der aufgrund seiner Familiengeschichte und vor allem seiner Ausbildung dennoch ein Kosmopolit ist. Auch
Winspeare stellt sich nach der Vorführung
seines neuesten Films den Fragen des
Publikums. Wie in vielen seiner Werke beschreibt und analysiert er auch in IN GRAZIA DI DIO, den er mit Laiendarstellern gedreht hat, die aktuellen gesellschaftlichen
Probleme in seiner Heimat, die Widersprüche, aber auch die möglichen Perspektiven
für einen Ausweg aus der gegenwärtigen
Krise. Das diesjährige Programm von
VERSO SUD vervollständigen zehn weitere
Filme, die aus den neuesten und überzeugendsten Kinoproduktionen Italiens ausgewählt wurden, und die unter Regisseuren
wie Paolo Virzì, Gianni Amelio, Gianfranco
Rosi, Valeria Golino, Alessandro Rossetto,
Antonio und Marco Manetti, Ciro De Caro,
Pif, Antonio Augugliaro, Gabriele Del Grande, Khaled Soliman und Al Nassiry entstanden sind. Diese Werke, darunter auch
einige Dokumentarfilme, blicken auf die
Gegenwart und setzen sich mit Themen
auseinander, die die europäische Gesellschaft grundlegend betreffen, angefangen
von der Emigration über die Integration bis
zur Wirtschaftskrise und zum Werteverfall.
Sie zeigen uns nicht nur ein oft schwer zu
verstehendes Bild von Italien und Europa
heute, sondern auch Anregungen für Veränderungen und einen Neubeginn.
Mein Dank gilt allen Partnerinstitutionen,
die wie jedes Jahr VERSO SUD ermöglicht haben: dem Deutschen Filmmuseum
Frankfurt, dem Verein Made in Italy Rom,
dem Kairos Filmverleih Göttingen und dem
Italienischen Ministerium für Kulturgüter
und kulturelle Aktivitäten.
Ich wünsche VERSO SUD ein langes
Bestehen und dem zahlreichen Publikum
gute Unterhaltung.
Lucio Izzo
Direktor Istituto Italiano di Cultura Köln
Grußwort
Casa di Cultura e.V., Frankfurt
6 Saluto
Grußwort
Ich freue mich sehr darüber, im Namen
des italienischen Kulturvereins, Casa di
Cultura, zum 20. Jubiläum von VERSO
SUD ein Grußwort an die Festivalbesucher zu richten.
Der Tradition unseres Vereins folgend,
einen Ort der Begegnung mit dem neuen
italienischen Kino zu ermöglichen, initiierte Casa di Cultura mit dem Kulturdirektor Stefano Scarlatti das italienische
Filmfestival VERSO SUD. Im damaligen
Kommunalen Kino, heute: Kino des Deutschen Filmmuseums, fanden wir einen
hervorragenden Partner, wie auch den
idealen Austragungsort. Die Kinoleiterin,
Dr. Kitty Vincke, die in unseren Erinnerungen sehr präsent ist, nahm unseren
Vorschlag begeistert auf und zeigte
an neun Tagen unbekannte Filme aus
Italien – in der Originalfassung mit meist
englischen Untertiteln, da es deutsche
Untertitel noch nicht gab.
Menschen aus vielen Kulturkreisen
haben italienische Filme in den vergangenen 19 Jahren gesehen und mit uns
über sie gelacht und geweint, über die
Inhalte diskutiert und Kritik geübt. Jedes
Jahr haben wir zusammen die Regisseure und Regisseurinnen, die aus Italien
nach Frankfurt gekommen sind, wie gute
Freunde willkommen geheißen.
Mit der seit der vierten Festivalausgabe
veranstalteten Hommage gab es zudem
die Möglichkeit, bedeutende Vertreter
des italienischen Films aus nächster
Nähe im Kino zu erleben und ihre Werke,
die oftmals bis dahin nur Filmexperten und Filmwissenschaftlern bekannt
waren, auf der großen Kinoleinwand zu
sehen.
Inzwischen wird das Festivalprogramm
von unserem Projektpartner Made in
Italy aus Rom, gemeinsam mit dem
Deutschen Filmmuseum gestaltet und
organisiert. Und jedes Jahr aufs Neue
gewährt uns das Programm von VERSO
SUD einen Einblick in neue Filme aus
Italien, die uns auf ganz unterschiedliche
Weise anrühren.
Ich wünsche allen: »Buona visione«!
Mary Condotta
Vorsitzende der Casa di Cultura e.V.
Jubiläum
Verso Sud 20
7 Giuseppe Piccioni
Sergio Castellitto
VERSO SUD
Hommagen
Sergio Rubini
Paolo Virzì
Franco Montini, Francesco Bruni, Luigi Lo Cascio
1998 Gianni Amelio
1999 Paolo und Vittorio Taviani
2000 Gillo Pontecorvo
2001 Vittorio De Sica
2002 Giuliano Montaldo
2003 Gabriele Salvatores
2004 Pupi Avati
2005 Pier Paolo Pasolini
2006 Sergio Castellitto
2007 Michelangelo Antonioni
2008 Sergio Rubini
2009 Paolo Virzì
2010 Ferzan Ozpetek
2011 Liliana Cavani
2012 Luigi Lo Cascio
2013 Giuseppe Piccioni
Grußwort
Deutsches Filminstitut / Deutsches Filmmuseum, Frankfurt
Made in Italy, Rom
8 Saluto
Grußwort
In diesem Jahr findet VERSO SUD, das
Festival des italienischen Films, zum 20.
Mal statt – ein Grund zum Feiern! Was
im Jahr 1995 als kleines Festival begann,
hat sich in der Zwischenzeit, alljährlich im
Dezember, zu einer festen Größe im Festivalkalender Frankfurts und der Region, mit
einer jährlich wachsenden Besucherzahl
etabliert. Das haben wir vor allem Ihnen,
unserem überaus interessierten und treuen Publikum zu verdanken.
Dass der italienische Film im In- und Ausland erfolgreicher denn je ist, das war in
den vergangenen zwei Jahren zu beobachten: angefangen mit den Auszeichnungen
für Paolo Sorrentinos Film LA GRANDE
BELLEZZA (La grande bellezza – Die große
Schönheit, IT 2013) als bester fremdsprachiger Film bei der Oscarverleihung 2013
und als bester europäischer Film bei der
Verleihung der Europäischen Filmpreise
2013. Aber auch auf den drei großen
europäischen Filmfestivals in Cannes, Rom
und Venedig wurden italienische Filme
ausgezeichnet: Alice Rohrwachers Film LE
MERAVIGLIE (Land der Wunder, IT 2013)
beim Filmfestival in Cannes 2013, Alberto
Fasulos Film TIR (IT/Kroatien 2014) beim
Rom Filmfestival 2013 und nicht zu vergessen Gianfranco Rosis Dokumentarfilm
SACRO GRA (IT 2013), der als erster Dokumentarfilm überhaupt mit dem großen
Preis der Jury beim Filmfestival Venedig
2013 ausgezeichnet wurde und den wir
am Sonntag, 7. Dezember, im diesjährigen VERSO-SUD-Programm zeigen.
Dass der italienische Film nicht nur erfolgreich, sondern auch aktuell und innovativ
ist, das zeigen auch die Filme des diesjährigen Programms: Viele sind von einem
dokumentarischen Ansatz geprägt wie IN
GRAZIA DI DIO (Ein neues Leben, IT 2013)
von Edoardo Winspeare, der seinen Film
am Sonntag, 30. November, persönlich
vorstellen wird, über SPAGHETTI STORY
von Ciro de Caro und L’INTREPIDO von
Gianni Amelio bis zu PICCOLA PATRIA
von Alessandro Rossetto. Wir freuen
uns sehr, dass wir mit IO STO CON LA
SPOSA, LA DEUTSCHE VITA und SACRO
GRA gleich drei Dokumentarfilme im
Programm präsentieren können.
PICCOLA PATRIA ≥ S. 21
Eine große Ehre ist es, Giuseppe Tornatore
die diesjährige Hommage zu widmen. Er
ist einer der erfolgreichsten, vielseitigsten
und international bekanntesten italienischen Regisseure seiner Generation, der
im Laufe seiner Karriere mit vielen, auch
international bekannten Stars zusammengearbeitet hat. Wir freuen uns sehr, dass
er zur Festivaleröffnung am Samstag, 29.
November, nach Frankfurt kommen und
seinen von so vielen geliebten, oscarprämierten Film NUOVO CINEMA PARADISO
(Cinema Paradiso, IT/FR 1988) vorstellen
und im Anschluss mit dem Publikum
diskutieren wird.
Wir danken all unseren Förderern und
Kooperationspartnern für ihre langjährige
Unterstützung und ihr Engagement –
ohne sie könnte VERSO SUD nicht statt-
Grußwort
Deutsches Filminstitut / Deutsches Filmmuseum, Frankfurt
Made in Italy, Rom
finden: dem Ministero dei Beni e delle
Attività Culturali e del Turismo, der Direzione Generale per il Cinema (Rom), dem
Consolato Generale d’Italia (Frankfurt),
dem Istituto Italiano di Cultura (Frankfurt
und Köln), der Casa di Cultura (Frankfurt),
der Camera di Commercio Italiana per la
Germania (Frankfurt), dem Kairos Filmverleih (Göttingen) und allen Verleihern und
Produzenten, die es uns ermöglichen,
Ihnen auch in diesem Jahr wieder ein
interessantes und abwechslungsreiches
Programm zu präsentieren. Unser Dank
gilt aber nicht zuletzt den Filmemachern,
die ihre Filme persönlich in Frankfurt
vorstellen werden und mit Ihnen, dem
Publikum, über ihre Filme sprechen werden. Danke für Ihr Vertrauen.
Wir wünschen Ihnen, dem VERSO SUDPublikum, spannende Festivaltage,
interessante Begegnungen mit unseren
Gästen und uns, dass Sie uns auch in
den nächsten Jahren treu bleiben. Es
gibt viel zu entdecken.
Benvenuti e buona visione!
Monika Haas
Deutsches Filminstitut /
Deutsches Filmmuseum
Francesco Bono
Franco Montini
Piero Spila
Made in Italy
LA MIGLIORE OFFERTA ≥ S. 29
9 Einleitung
Neues italienisches Kino
10 Das italienische
Kino erzählt von
der großen Krise
Piero Spila
»Stein auf Stein entsteht eine Mauer«, sagt voller Überzeugung eine der
Protagonistinnen von IN GRAZIA DI
DIO, dem bezaubernden neuen Film von
Edoardo Winspeare. Und dieser Satz
könnte auch als Slogan von VERSO SUD
20 dienen. Denn das diesjährige Festival
zeigt Filme, die auf ganz unterschiedliche Weise wichtige Themen unseres
Alltags behandeln – Wohnen, Arbeit, die
Lebenswelten von jungen Menschen, die
Wirtschaftskrise, aber auch die Sterbehilfe – ohne dabei schon Lösungsansätze
mitzuliefern, die auch gar nicht so einfach
zu finden wären. Stattdessen erzählen die
Filme ganz einfach vom Leben – von den
täglichen Anstrengung des Alltags, von
Entbehrungen und drängenden Entscheidungen – von Menschen, die trotz aller
Schwierigkeiten, die das Leben immer
wieder bereithält, noch nicht resigniert
haben, sondern weiterkämpfen.
Die vier Protagonistinnen von IN GRAZIA
DI DIO (Ein neues Leben, IT 2014) gehören drei Generationen einer Familie an.
Nachdem ihr kleiner Handwerksbetrieb
durch die ausländische Konkurrenz in den
Ruin getrieben wurde, müssen sie sich
eine neue Existenz aufbauen und kehren
in ihr altes Haus auf dem Land zurück.
Die Rückkehr bedeutet für sie auch eine
Wiederentdeckung ganz ursprünglicher
Werte: der Verbundenheit mit der Heimat
und des Gemeinschaftssinns. Sogar den
Tauschhandel entdecken sie wieder:
Ware gegen Ware, Hilfe als Gegenleis-
tung für Hilfe, und so entstehen ein ganz
neues Solidaritätsgefühl, Aufmerksamkeit
den anderen gegenüber, Austausch und
Nähe. Alles schien verloren, aber etwas
anderes kann – »Stein auf Stein« – neu
beginnen. Winspeares Film spielt im Herzen des Mezzogiorno, eines Landstrichs,
dessen Bewohner stets für ihren Wagemut und ihre Risikobereitschaft bekannt
waren. Auch der Blick nach Norden zeigt,
dass die Auswirkungen der Wirtschaftskrise nicht nur in Italien, sondern in ganz
Europa zu spüren sind.
IL CAPITALE UMANO (Human Capital,
IT 2013) von Paolo Virzì spielt in Brianza,
einer von Villen und deren wohlhabenden Bewohnern geprägten Gegend in
der Lombardei. Doch das soziale Klima
in dieser scheinbar sorglosen Welt der
Reichen, das zeigt der Film, ist geprägt
von gegenseitiger Täuschung, Unsicherheit und Desillusionierung. Erneut gelingt
es Virzì meisterhaft, eine komplexe und
ernste Geschichte mit Leichtigkeit zu
erzählen, aber auch mit Ernüchterung
und einer Spur Verbitterung. Das titelgebende »menschliche Kapital« geht auf
eine algebraische Formel zurück, mit der
Versicherungsgesellschaften berechnen,
wie Opfer von Autounfällen entschädigt
werden sollen.
Ebenfalls in Norditalien spielt PICCOLA
PATRIA (Kleines Vaterland, IT 2013), das
Spielfilmdebüt des anerkannten Dokumentarfilmers Alessandro Rossetto. Er
erzählt darin die Geschichte zweier junger
Frauen und ihrer Sehnsucht, ihr kleines
norditalienisches Dorf Richtung China
zu verlassen. Denn in ihrer von sozialen
Widersprüchen und Zukunftsängsten
geprägten Heimat fühlen sich alle bedroht von einer so nahen wie ungewissen
Zukunft und den Veränderungen, die
diese mit sich bringt. Dieser Welt wollen
die beiden entkommen, auch auf die
Gefahr hin, dabei ihre eigenen Wurzeln zu
verlieren.
Auch L‘INTREPIDO (Der Furchtlose, IT
2013) von Gianni Amelio erzählt von den
Auswirkungen der Wirtschaftskrise. Der
Protagonist ist ein arbeitsloser Mann
mittleren Alters, der, von seiner Frau
verlassen, alleine lebt. Aber anstatt sich
dem Pessimismus und der Passivität
hinzugeben, bemüht er sich jeden Tag um
neue Lösungen: Wenn es keinen Job gibt,
dann erfindet er eben einen. Zum Beispiel,
indem er für diejenigen einspringt, die
ihre Arbeit für einige Stunden verlassen
müssen. Er ist bescheiden, auf den ersten
Blick wirkt er schwach, aber er schlägt
sich mit Optimismus und dem Mut eines
modernen Charlie Chaplin durchs Leben.
Trotz seiner Schwächen ist er ein Vorbild
für die Jugend. Am Ende des Films sehen
wir ihn als »seitenverkehrten« Migranten:
als Italiener geht er in Albanien auf Arbeitssuche. Denn das Rad der Geschichte
dreht sich weiter und Länder, die einst
zu den ärmeren gehörten, erleben heute
einen neuen Aufschwung.
Einleitung
Neues italienisches Kino
LA MAFIA UCCIDE SOLO D’ESTATE ≥ S. 18
L’INTREPIDO ≥ S. 19
Um die prekäre Lebenssituation junger
Menschen geht es in SPAGHETTI
STORY (IT 2013), dem Erstlingswerk von
Ciro De Caro, einer der größten filmischen Überraschungen des vergangenen Jahres. Ein unabhängig produzierter
Low-Budget-Film wie er im Buche steht,
mit 15.000 Euro Gesamtkosten und elf
Drehtagen, dem es mit Effizienz und Authentizität gelingt, die bereits seit längerem problematische soziale Situation der
Generation der Jugendlichen und jungen
Erwachsenen darzustellen. Die Figuren
des Films sind alle um die 30, und das
Erschreckende sind nicht etwa Apathie
oder Zynismus, sondern die Tatsache,
dass sie keine Perspektiven haben. Ihre
einzige Ressource ist ihre Lebenslust,
die der Film mit Zuneigung und Humor
in den Mittelpunkt stellt.
Jung ist auch der Protagonist und
Erzähler aus LA MAFIA UCCIDE SOLO
D’ESTATE (Die Mafia tötet nur im Sommer, IT 2013) von Pif, der als einer der
wichtigsten und einflussreichsten Vertreter der neuen italienischen Mediengeneration gelten darf. Aus der Perspektive
eines Kindes erzählt der Film von den
Massakern der Mafia, die Italien in den
1970er und 1990er Jahre auf dramatische
Weise geprägt haben. Der Film, in Italien
ein großer Erfolg an den Kinokassen
wie bei den Filmkritikern, ist eine echte
Herausforderung für die Zuschauer, denn
er zeigt, dass es möglich ist, auch mit Humor von der Mafia zu erzählen. Und dass
11 man sich auch in einer Stadt verlieben
kann, die »unter Belagerung« steht.
Die Protagonisten in SACRO GRA (Das
andere Rom, IT 2013) – für den Regisseur Gianfranco Rosi beim Filmfestival
in Venedig mit dem Goldenen Löwen
ausgezeichnet wurde – scheinen sich
aus freien Stücken dafür entschieden zu
haben, ausgeschlossen und isoliert zu
leben. Diese Männer und Frauen wohnen
direkt an Roms großem Autobahnring,
dem Grande Raccordo Anulare, kurz
GRA, der die italienische Hauptstadt mit
einer Länge von 70 Kilometern umkreist
und auf dem der Verkehr täglich 24
Stunden fließt. In ihrer Gesamtheit aber
formen sie mit ihren Geschichten, ihren
Manien, ihren kleinen Wünschen und
vorgezeichneten Schicksalen einen vielschichtigen Ausschnitt der Gesellschaft,
mit dem man sich auseinandersetzen
sollte. Der lediglich beobachtende Blick
des Regisseurs stellt die Persönlichkeiten
und Erzählungen seiner Protagonisten in
den Mittelpunkt des Films: so begleitet er
einen Aalfischer, einen verarmten Adeligen, einen Botaniker oder einen Transsexuellen, ohne jede Wertung. Es ist eine
Momentaufnahme, der schlaglichtartige
Ausdruck eines ebenso konkreten wie
imaginären Nicht-Ortes. Eine magische
Aufhebung der Zeit, während nur wenige
Meter entfernt der Verkehrsfluss unaufhörlich vorbeirauscht. Risis Umgang
mit dem Thema ist charakteristisch für
das neue italienische Kino: Er vermischt
Das italienische Kino
erzählt von der großen Krise
12 Il capitale umano ≥ S. 14
SACRO GRA ≥ S. 22
Einleitung
Neues italienisches Kino
Dokumentation und Fiktion, er kreuzt die
Wahrhaftigkeit der Beobachtung mit der
Phantasie des Fiktionalen.
Ein weiteres Beispiel für dieses neue
Kino liefert IO STO CON LA SPOSA (Auf
der Seite der Braut, IT/Palästina 2014),
ein semidokumentarischer Film von
Antonio Augugliaro, Gabriele Del Grande
und Khaled Soliman Al Nassiry. In Mailand treffen ein palästinensischer Lyriker
und ein italienischer Journalist auf eine
Gruppe palästinensischer und syrischer
Flüchtlinge, die auf der Flucht vor dem
Krieg in Syrien über die italienische Insel
Lampedusa nach Europa eingereist sind.
Die beiden entscheiden sich, der Gruppe
bei ihrer Weiterreise nach Schweden zu
helfen. Sie inszenieren eine fiktive Hochzeit, bitten eine Freundin, sich als Braut,
und weitere Freunde, sich als Gäste zu
verkleiden. Auf diese Weise überquert
eine gefälschte Hochzeitsgesellschaft
Grenzen und durchquert Staaten, bis alle
endlich ihr Ziel, Stockholm, erreichen.
Indem und wie sie sich über Immigrationsgesetze und Bürokratie hinwegsetzen, zeigen sie ein transnationales,
solidarisches und nomadisches Europa.
Von Migration, Identität und Globalisierung handelt auch LA DEUTSCHE VITA
(DE, 2013) der beiden in Berlin lebenden
italienischen Filmemacher Alessandro
Cassigoli und Tania Masi, der auf sehr
unterhaltsame Weise und mit einem
Augenzwinkern von den gängigen und
genussvoll zelebrierten Klischees über
Italiener und Deutsche und ganz konkret
von den in Deutschland lebenden Italienern erzählt, die in Berlin mittlerweile zur
drittgrößten Einwanderergruppe zählen.
Die sicherlich erstaunlichste, extremste
und menschlich ergreifendste Figur ist
aber die der jungen Darstellerin von
MIELE (Honig, IT 2013), dem Regiedebüt
der italienischen Schauspielerin Valeria
Golino. Die Titelfigur der Geschichte
hat in der Sterbehilfe einen sinnvollen
Lebensinhalt und ein riskantes Auskommen gefunden: Sie tötet nicht, sie hilft
Menschen, deren Tage gezählt sind und
die das schmerzhafte Warten auf den Tod
verkürzen wollen, beim Sterben. Auf ihre
Weise vertritt Irene (Deckname: Miele)
einen ethischen Standpunkt und glaubt,
ihrer moralischen Verantwortung zu entsprechen. In Wahrheit bewegt sie sich in
einem fragwürdigen und schmerzhaften
Grenzbereich der geltenden Moral, und
es erfordert nicht viel, um sie in eine Krise
zu stürzen. Irene scheint auf den ersten
Blick unsensibel, kühl und gefühlsarm zu
sein, in Wahrheit aber ist sie selbst tief
verletzt und fügt sich durch ihre Tätigkeit
immer weitere Verletzungen zu. Denn
sie ist ständig mit dem Tod konfrontiert,
obwohl sie eigentlich voller Lebenslust
steckt – wie auch das bezaubernd-magische Finale zeigt, das in einer Istanbuler
Moschee gedreht wurde. MIELE ist ein
harter, formal strenger und fast hermetisch geschlossener Film, gleichzeitig
13 aber auch modern und couragiert in der
Art und Weise, wie er ein gesellschaftlich
wichtiges Thema behandelt.
Ob beschwingte Komödie, unterhaltsames Drama oder beunruhigende Reflexion: das vereinende Element der Filme
des diesjährigen Jubiläumsprogramms
von VERSO SUD ist die Entscheidung
und der Wille der Filmemacher, sich mit
der sozialen Realitäten auseinanderzusetzen. So ist SACRO GRA ein Dokumentarfilm, der die Abbildung einer bestimmten
Lebenssituation als Projekt verfolgt,
aber interessanterweise scheinen auch
die anderen Filme des Programms vor
allem darauf abzuzielen, bestimmte
soziale, moralische oder wirtschaftliche
Situationen und Probleme möglichst
objektiv und fast schon dokumentarisch
darzustellen und dabei die traditionellen
Erzählmuster außer Acht zu lassen. Die
Bauern in IN GRAZIA DI DIO, der Stundenlöhner in L‘INTREPIDO, die kritischen
und rebellischen jungen Menschen in
SPAGHETTI STORY und IO STO CON LA
SPOSA: Sie alle setzen auf ihre Weise
»Stein auf Stein« und repräsentieren ein
Kino, das sich – in Italien ebenso wie im
Rest Europas – angesichts der Komplexität unserer Zeit entschlossen hat, das
Leben so zu zeigen, wie es eben ist: in all
seiner Härte, seiner Undurchsichtigkeit
und seinen Widersprüchen. Ein Kino, das
nicht versucht, auf tröstliche Weise zu
vereinfachen oder die Erwartung eines
»Happy End« zu erfüllen.
Mittwoch, 10.12.
20:30 Uhr
Preview
Neues italienisches Kino
14 IL CAPITALE
UMANO
Human Capital
– Die süße Gier
Italien 2013 · 110 Minuten · OmU
Regie:
Paolo Virzì
Drehbuch:
Francesco Bruni,
Francesco Piccolo,
Paolo Virzì, basierend
auf einem Roman von
Stephen Amidon
Kamera:
Jerome Almeras
Schnitt:
Cecilia Zanuso
Ausstattung:
Mauro Radaelli
Musik:
Carlo Virzì
Produktion:
Fabrizio Donvito,
Benedetto Habib,
Marco Cohen für
Indiana
Darsteller:
Valeria Bruni Tedeschi
(Carla Bernaschi),
Fabrizio Bentivoglio
(Dino Ossola), Valeria
Golino (Roberta
Morelli), Fabrizio Gifuni
(Giovanni Bernaschi),
Luigi Lo Cascio
(Donato Russomanno),
Giovanni Anzaldo,
Matilde Gioli,
Guglielmo Pinelli,
Gigio Alberti
INHALT
Durch einen mysteriösen Autounfall
kreuzen sich in einer norditalienischen
Provinzstadt an Heiligabend die Wege
zweier Familien, die unterschiedlicher
nicht sein könnten: Dank kluger Finanzspekulationen führen Giovanni und Carla
Bernaschi gemeinsam mit ihrem Sohn
Massimiliano ein luxuriöses Leben. Ganz
anders sieht es bei den Ossolas aus:
Während Ehemann Dino zwar sehr
bemüht, aber doch erfolgslos als Immobilienmakler arbeitet, ist seine Frau
Roberta mit Zwillingen schwanger, und
die Familie steht kurz vor dem Bankrott.
Der Einkauf in den Hedgefonds der Bernaschis könnte ihre finanziellen Sorgen
mit einem Schlag beseitigen – doch
es kommt anders als erhofft.
PAOLO VIRZÌ ÜBER IL CAPITALE UMANO
Der Ursprung meines Films geht auf
einen Blitzschlag zurück, der mich traf,
als ich Stephen Amidons Roman »Human
Capital« las, der zu Beginn des neuen
Millenniums in einem Villenvorort von
Connecticut spielt. Die Figuren und
Ereignisse erschienen mir emblematisch
für unsere gegenwärtige Lage, auch die
in Italien: Reichtum, der nicht mehr durch
Arbeit sondern durch immer skrupellosere Finanzspekulationen angehäuft wird,
verborgene Hoffnungen, und eine Jugendgeneration, die gezwungen ist, einen
hohen Preis für die Fehler ihrer Eltern zu
bezahlen. Im Film habe ich dieses Mosaik an Geschichten und Figuren in das
zwischen Reichtum und Verzweiflung
pendelnde Italien von heute versetzt.
Ich habe die Struktur der Ereignisse wie
in einem Thriller angeordnet, mit einem
Toten gleich zu Beginn. Der gesamte
Film zeigt anhand der verschiedenen Figuren nach und nach, was der Preis des
Erfolges ist. Aber vor allem berichtet er
davon, wie das Geld und das Verlangen,
es zu multiplizieren, die Furcht davor es
zu verlieren, das Gefühlsleben und den
Wert der Menschen bestimmt.
wo der Roman von Stephen Amidon
spielt, der den Film inspiriert hat. Ausgehend von einem alltäglichen Unfall
und anhand der Geschichte zweier
Familien, zeichnet Virzì ein facettenreiches Bild des heutigen Italiens. IL
CAPITALE UMANO ist der erste dramatische Film von Paolo Virzì und zusammen mit TUTTI LA VITA DAVANTI
und LA PRIMA COSA BELLA ist es
auch sein schönster Film.
— Alberto Crespi, L‘Unità
Pressestimmen
Ein ambitionierter Film, der die italienische Kinolandschaft aufrüttelt. Paolo Virzì
erzählt darin vom heutigen Italien. Die
Geschichte ist um einen Autounfall und
eine vergessene Leiche herum aufgebaut
und entwickelt sich schon nach kurzer
Zeit zu einem komplexen Handlungsgeflecht mit einer Vielzahl von Figuren und
Perspektiven. Durch jeden Perspektivwechsel werden nicht nur neue Aspekte
beleuchtet und erzählt, sondern jeder
Perspektivwechsel macht die Geschichte
noch komplexer und spannender. Denn
natürlich ist in diesem Drama um Liebe
und Verrat nicht alles so, wie es auf den
ersten Blick scheint.
— Fabio Ferzetti, Il Messaggero
IL CAPITALE UMANO ist ein bemerkenswerter Film. Paolo Virzì erzählt darin
eine Geschichte, die überall passieren
könnte, in Italien oder in Connecticut,
PAOLO VIRZÌ (1964, Livorno) studierte Film
am Centro Sperimentale di Cinematografia in Rom, wo er Furio Scarpelli
begegnete, einem Altmeister der
italienischen Komödie. Als Drehbuchautor arbeitete Virzì u.a. mit Giuliano
Montaldo bei TEMPO DI UCCIDERE
(1989) und mit Gabriele Salvatores bei
TURNÉ (1990) zusammen, bevor er
1994 mit LA BELLA VITA sein Debüt
als Regisseur gab. Weitere Filme:
FERIE D’AGOSTO (1996), OVOSODO
(1997), BACI E ABBRACCI (1998),
MY NAME IS TANINO (2001), CATERINA VA IN CITTÀ (2003), N – IO E
NAPOLEONE (2006), TUTTA LA VITA
DAVANTI (Das ganze Leben liegt vor
Dir, 2008), LA PRIMA COSA BELLA
(2010), TUTTI I SANTI GIORNI (2012) –
die meisten davon waren bei Verso
Sud zu sehen. IL CAPITALE UMANO
(2014) ist sein neuester Film.
Sonntag, 30.11.
19:00 Uhr
Am 30.11. zu Gast: Edoardo
Winspeare und Celeste Casciaro
Dienstag, 02.12.
18:00 Uhr
Neues italienisches Kino
sehr stark und ich wollte in IN GRAZIA
DI DIO verschiedene Frauentypen zeigen: Die Generation der Großmutter, die
sich der Religion anvertraut, Adele, die
zwar nicht gläubig ist, aber von einem
starken Verantwortungsgefühl getrieben
wird und schließlich die Generation der
Tochter Ina, eine konsumbegeisterte
junge Frau, die in den Tag hineinlebt, um
ihre Gefühlsleere auszugleichen. Aber
mit den Schicksalsschlägen finden alle
drei Generationen schließlich ein neues
harmonisches Miteinander.
sind die Hauptdarsteller von Edoardo
Winspeares neuem Film IN GRAZIA
DI DIO, eine Liebeserklärung an die
Familie und das Matriarchat. Winspeare hat fast all seine Filme in diesem
abgelegenen Teil Apuliens gedreht, mit
technischem Können und emotionaler
Intensität: die Landschaft mit ihren
riesigen Oliven- und Zitrusbäumen, den
Kakteen, der Felsküste im Hintergrund,
den Steinmauern, den kleinen Dörfern,
den leuchtenden und gedeckten Farben
wird zu einem unabdingbaren Teil der
Geschichte. In diesem Film sieht man
keine Schauspieler, nur Einheimische,
und der Charme von IN GRAZIA DI DIO
liegt auch in der tiefen Wahrhaftigkeit
ihrer Darsteller.
— Natalia Aspesi, la Repubblica
15 IN GRAZIA
DI DIO
Ein neues Leben
Italien 2014 · 127 Minuten · OmU
Regie:
Edoardo Winspeare
Drehbuch:
Edoardo Winspeare,
Alessandro Valenti
Kamera:
Michele D’Attanasio
Schnitt:
Alberto Facchini
Ausstattung:
Sabrina Balestra
Musik:
Giuseppe D’Amato
Produktion:
Edoardo Winspeare,
Gustsavo Caputo,
Alessandro Contessa
für Saietta Film
Darsteller:
Celeste Casciaro
(Adele), Laura Lichetta
(Ina), Gustavo Caputo
(Stefano), Anna Boccadamo (Salvatrice),
Barbara de Matteis
(Maria Concetta),
Amerigo Russo,
Angelico Ferrarese,
Antonio Carluccio
INHALT
Salento, Süditalien: Vier Frauen einer
Familie – Großmutter, Mutter, Schwester
und Tochter – sehen sich gezwungen,
in ein altes Bauernhaus auf dem Land
umzuziehen. Die Wirtschaftskrise hat ihr
kleines Textilunternehmen in den Bankrott
getrieben, weshalb schließlich auch das
Haus, in dem sie bis dahin gewohnt und
gearbeitet haben, gepfändet wurde. Alles
scheint verloren, auch das menschliche
Miteinander. Die einzige Möglichkeit, das
tägliche Überleben zu sichern, liegt in der
Feldarbeit und der Rückkehr zu einfachen
Tauschgeschäften. Und genau das ist
der Beginn eines Weges, auf dem die
vier Frauen das Leben und vor allem ihre
Zuneigung zueinander ganz neu erfahren.
EDOARDO WINSPEARE ÜBER IN GRAZIA DI DIO
In diesem Film steckt viel Wahrheit. Die
Geschichte ist zwar frei erfunden, aber
ich habe mich am Leben meines Schwagers, dem Bruder meiner Frau Celeste,
orientiert. Er ist ein »Fasionista«, so
nennt man hier bei uns die Leute, die im
Akkord großen Modehäusern, wie Prada,
Stefanel oder Benetton, zuarbeiten. Mit
der Konkurrenz aus China ist es für sie
sehr schwer geworden. Die aktuelle Wirtschaftskrise ist wirklich eine schwierige
Zeit, sie gibt uns aber auch Gelegenheit,
uns neu zu erfinden und zu erkennen, was
im Leben wirklich wichtig ist: der Gemeinschaftssinn und die Familie. So geht es
auch den vier Protagonistinnen in meinem
Film. Die süditalienischen Frauen sind
Pressestimmen
IN GRAZIA DI DIO ist ein einfühlsamer
Film, der lange im Gedächtnis bleibt.
Edoardo Winspeare kehrt damit zum
Dialekt, den rauen Tönen und dem Lokalkolorit zurück, der auch seine besten
Filme auszeichnet. Wieder hat er überwiegend mit Laiendarstellern gearbeitet,
unter ihnen seine Frau Celeste Casciaro,
die die willensstarke Adele verkörpert
und die mit ihrer intensiven Darstellung
das Zentrum des Films bildet. Herausgekommen ist ein ungewöhnlicher
»Salento-Western«, voller Symbolik und
gleichzeitig getragen von einer großen Natürlichkeit. Winspeare hat uns
wertvolle Augenblicke geschenkt, wie
man sie nur selten findet: Momente der
Einfachheit. — Fabio Ferzetti, Il Messaggero
Vier Frauen aus drei Generationen
und der Salent, ein Ort antiker Magie,
EDOARDO WINSPEARE (1965, Klagenfurt,
Österreich) studierte Literaturwissenschaft und Fotografie und machte
schließlich seinen Abschluss im Fach
Regie an der HFF in München. Nach
verschiedenen Kurzfilmen gab er 1995
mit PIZZICATA sein Spielfilmdebüt.
Weitere Filme: SANGUE VIVO (2000),
IL MIRACOLO (2004), GALANTUOMINI (2008). Daneben drehte er auch
Dokumentarfilme, darunter SOTTO IL
CELIO AZZURRO (2009), und gehört zu
den Gründern der Musikgruppe Officina
Zoé. IN GRAZIA DI DIO (2014) ist sein
neuester Spielfilm.
Samstag, 06.12.
16:00 Uhr
Mittwoch, 10.12.
18:00 Uhr
Neues italienisches Kino
16 IO STO CON
LA SPOSA
Auf der Seite
der Braut
Italien 2014 · 98 Minuten · OmeU
Dokumentarfilm
Regie und Drehbuch:
Antonio Augugliaro,
Gabriele Del Grande,
Khaled Soliman Al
Nassiry
Kamera:
Gianni Bonardi
Schnitt:
Antonio Augugliaro
Musik:
Tommaso Barbaro
Produktion:
Gina Films
Mitwirkende:
Tasneem Fared,
Abdallah Sallam, MC
Manar, Alaa Bjermi,
Ahmed Abed, Mona
Al Ghabr, Gabriele Del
Grande, Khaled Solima
Al Nassiry, Tareq Al
Jabr, Marta Bellingreri,
Rachele Masci
INHALT
Ein palästinensischer Lyriker und ein
italienischer Journalist treffen in Mailand
auf fünf Palästinenser und Syrer, die
auf der Flucht vor dem Krieg in Syrien
über die italienische Insel Lampedusa
nach Europa eingereist sind. Die beiden
entscheiden, die Flüchtlinge auf ihrer
illegalen Weiterreise nach Schweden zu
unterstützen. Zur Verschleierung ihres
Vorhabens beschließen sie, eine Hochzeit zu inszenieren. Mit der Hilfe einer
palästinensischen Freundin, die sich als
Braut verkleidet und zehn italienischen
und syrischen Freunden durchqueren
sie, getarnt als Hochzeitsgesellschaft,
in den darauffolgenden vier Tagen halb
Europa und legen eine Strecke von 3.000
Kilometern zurück. Es ist eine Reise
voller Emotionen und Hoffnungen, die
nichts anderes ist als eine live gedrehte
reale Geschichte, die sich zwischen dem
14. und 18. November 2013 auf den
Straßen zwischen Mailand und Stockholm zugetragen hat.
DIE FILMEMACHER ÜBER IO STO CON LA SPOSA
Unser Film ist ein Dokumentarfilm, aber
auch eine politische Aktion, eine wahre
Geschichte, aber auch eine fantastische
– IO STO CON LA SPOSA ist alles zugleich. Dieser hybride Charakter unseres
Films verlangte von Anfang an nach
klaren Entscheidungen. Wir haben weder
Dialoge noch Figuren erfunden, aber
wir haben die Reise so organisiert, dass
wir einige Szenen voraussehen konnten.
ausgereisten Palästinenser aus Syrien
und den beiden Italienern, und nachdem
sie durch Crowdfunding innerhalb von
zwei Monaten 100.000 Euro gesammelt
hatten, erforderte die tatsächliche Reise
viel Mut, denn es ging um nichts weniger als darum, die europäischen Immigrationsgesetze zu umgehen. Alle am Film
Beteiligten haben dabei viel riskiert.
— Paolo D‘Agostini, la Repubblica
Gleichzeitig haben wir immer die Erfordernisse der politischen Aktion im Auge
behalten. Denn wir mussten wirklich in
Schweden ankommen, nicht nur, um
unseren Film zu einem Abschluss zu
bringen. Und wir mussten Schweden
in der kürzest möglichen Zeit erreichen.
Das hat knallharte Arbeitsrhythmen mit
sich gebracht. Wir alle haben ein großes
Risiko und einen großen Traum geteilt,
das hat uns vereint. Diese Erfahrung der
gemeinsamen Reise hat auch unseren
Blick auf die Realität verändert und
uns dabei geholfen, eine neue Sprache
zu finden, die es uns ermöglichte, die
Dämonen unserer Ängste in die Helden
unserer Träume zu verwandeln, das
Hässliche in das Schöne, die abstrakten
Zahlen in Namen und Menschen.
Pressestimmen
Obwohl es sich um einen realen filmischen Bericht handelt, durchströmt IO
STO CON LA SPOSA eine fast märchenhafte Atmosphäre. Dank der Kraftanstrengungen, vor allem der beiden schon
ANTONIO AUGUGLIARO (1978, Mailand) Cutter
und Regisseur, begann seine Arbeit im
Bereich Videokunst für Studio Azzurro.
Gegenwärtig arbeitet er für die Fernsehsender Sky und Discovery Channel
und engagiert sich in der unabhängigen
Filmszene Mailands.
GABRIELE DEL GRANDE (1982, Lucca) Schrift-
steller und Journalist, gründete 2006 die
Organisation Fortress Europe und den
damit verbundenen Blog, in dem er über
die Toten und Schiffbrüchigen berichtet,
die in den europäischen und maghrebinischen Medien seit 1988 verzeichnet
worden sind. Seit 2011 verfolgt er als
Journalist den Arabischen Frühling und
die Kriege in Libyen und Syrien.
KHALED SOLIMAN AL NASSIRY (1979, Damaskus)
Lyriker, Literaturkritiker und Zeichner
lebt seit 2009 in Mailand, wo er als Verlagsdirektor und graphischer Zeichner
für den Verlag Noon arbeitet.
Sonntag, 07.12.
17:00 Uhr
Neues italienisches Kino
LA
DEUTSCHE
VITA
lebenden Italienern wollten wir in LA
DEUTSCHE VITA erzählen. Bevor wir
mit unserem Film angefangen haben,
haben wir uns andere Dokumentationen
über das gleiche Thema angesehen und
festgestellt, dass diese meist sehr ernst
sind und eher die sozialen Aspekte oder
die Familiengeschichte betonen. Doch
darüber hinaus gibt es noch mehr zu
erzählen und es war uns daher wichtig,
auch die komischen Seiten der Italiener
zu zeigen. Denn die Italiener, die sich
ins Berliner Ambiente eingefügt haben,
sind regelrecht Außerirdische. Zwei weit
voneinander entfernte Galaxien treffen
hier aufeinander, auf der einen Seite
die lärmenden und etwas nachlässigen
Italiener, auf der anderen die sich einordnenden und genauen Deutschen. Und
genau diese Widersprüche haben uns
interessiert.
Deutschland 2014 · 61 Minuten · OmU
Dokumentarfilm
Regie und Drehbuch:
Alessandro Cassigoli,
Tania Masi
Kamera:
William Chicarelli Filho
Schnitt:
Kathrin Dietzel
Musik:
Kapaikos,
Deacon Dunlop
Ton:
Alberto Sanchez Nué,
Luciana Bass
Produktion:
Alessandro Cassigoli,
Tania Masi
Mitwirkende:
Massimiliano Balestri,
Daniela Benedetti, Luisa
Bez, Emidio Ciabattoni,
Mauro Paglia, Giovanni
Pane, Nicola Pascale,
Gino Puddu, Ruth Stirati
INHALT
Berlin ist ein Magnet für Menschen, die
mit wenig Geld etwas erreichen wollen.
So geht es derzeit etlichen Italienern,
die, enttäuscht und desillusioniert von
der Politik ihres eigenen Landes, ihr
Glück in der deutschen Hauptstadt
suchen. Doch ihre Hoffnungen und
Sehnsüchte werden hier nur bedingt
erfüllt: Zu kalt sind die Berliner Winter,
zu unerbittlich ist die Bürokratie. So
geht es auch den beiden Regisseuren
Alessandro Cassigoli und Tania Masi,
die beide seit Jahren in Berlin leben, und
die nun das Heimweh packt. Denn so
gern sie die Stadt auch mögen, Heimat
wird sie nie sein. Um ihre aufkommende
Melancholie zu bekämpfen, beginnen
sie damit, Landsmänner und -Frauen
in ihrem so vertrauten wie zuweilen
merkwürdigen Alltag mit der Kamera zu
begleiten. Denn dass die Deutschen und
das Leben von in Deutschland wohnenden Italienern seltsam sein können,
erfahren viele am eigenen Leib: Unerhört ist vieles, etwa, dass man sie oft für
Russen hält, die Art und Weise wie in
Deutschland Mozzarella produziert wird
oder dass die Pizzeria nebenan einem
Bosnier gehört.
DIE FILMEMACHER ÜBER LA DEUTSCHE VITA
In einigen Berliner Stadtvierteln, die
vorher nur von Türken, Libanesen oder
Palästinensern bewohnt wurden, sieht
man jetzt zum großen Teil Italiener
auf der Straße. Von diesen in Berlin
Pressestimmen
Warum zieht es so viele Italiener nach
Berlin? Alessandro Cassigoli und Tania
Masi haben mit ihrem Film versucht,
auf diese Frage eine sehr persönliche
Antwort zu geben. LA DEUTSCHE VITA
ist ein unterhaltsamer Film über die
inzwischen drittgrößte ausländische
Community in Berlin: Mehr als 20.000
17 Italiener leben mittlerweile offiziell in
der deutschen Hauptstadt. Den beiden
Regisseuren ist es gelungen, erstaunliche
Geschichten aufzuspüren und auf sehr
unterhaltsame Art von verschiedenen in
Berlin lebenden Italienern zu berichten.
Mit einem schönen Ergebnis.
— Tonia Mastrobuoni, La Stampa
ALESSANDRO CASSIGOLI (1976, Florenz) arbei-
tete zunächst als Regieassistent ehe
er gemeinsam mit Dalia Castel die Dokumentarfilme IN THE BUBBLE (2002)
und GOOD TIMES (2004) drehte. Seit
2005 lebt er in Berlin. Er ist Autor und
Regisseur verschiedener Dokumentationen für Arte, darunter THE FACES OF
ROME (2007), A TREEHOUSE IN COSTA RICA (2009), FLORENCE FOOTBALL
(2011) und MARMOR (2012).
TANIA MASI (1976, Bagno a Ripoli bei
Florenz) studierte zunächst Film in New
York ehe sie nach Berlin zog, wo sie als
Journalistin, unter anderem für die Rai,
arbeitete. Zur gleichen Zeit folgte sie
ihrer Kinoleidenschaft und arbeitete für
die Filmproduktionsgesellschaft Studio
City Pictures. LA DEUTSCHE VITA
(2014) ist ihr erster Dokumentarfilm.
Freitag, 05.12.
20:30 Uhr
Neues italienisches Kino
18 LA MAFIA UCCIDE
SOLO D’ESTATE
Die Mafia tötet nur
im Sommer
Italien 2013 · 90 Minuten · OmU
Regie:
Pif (Pierfrancesco
Diliberto)
Drehbuch:
Michele Astori,
Pierfrancesco Diliberto,
Marco Martani
Kamera:
Roberto Forza
Schnitt:
Cristiano Travaglioli
Musik:
Santi Pulvirenti
Ausstattung:
Marcello Di Carlo
Produktion:
Mario Gianani, Lorenzo
Mieli für Wildside Media
Darsteller:
Cristiana Capotondi
(Flora), Pif (Arturo),
Ginevra Antona (Flora
als Kind), Alex Bisconti
(Arturo als Kind),
Claudio Gioè, Ninni
Bruschetta, Barbara
Tabita, Rosario LIsma,
Teresa Mannino
INHALT
Palermo 1970: Am Tag, an dem der
bekannte Mafioso Vito Ciancimino zum
Bürgermeister von Palermo gewählt
wird, kommt Arturo zur Welt, und dieses
Zusammentreffen hat weit mehr Konsequenzen für Arturos Leben, als zunächst
angenommen. Denn der heranwachsende
Arturo hat zwei Obsessionen, von denen
ihn jede vollständig einnimmt: seine unglückliche Liebe zu seiner Banknachbarin
Flora, die er seit der Grundschule anbetet
und seine fixe Idee von den beängstigenden Beziehungen zwischen seiner
Heimatstadt und der Mafia. Diese zweite
Obsession isoliert ihn von seiner Umwelt,
Flora mit eingeschlossen, bis ihm unglücklicherweise die Ereignisse Recht geben.
Vor dem Hintergrund der tragischen, mit
der Mafia verbundenen Ereignisse die sich
zwischen den 1970er und 1990er Jahren
in Sizilien zutragen, entwickelt sich die zarte und äußerst unterhaltsame éducation
sentimentale eines kleinen Jungen.
PIERFRANCESCO DILIBERTO ÜBER
LA MAFIA UCCIDE SOLO D’ESTATE
Palermo ist die Stadt in der ich geboren
und aufgewachsen bin. Als ich eines Tages innegehalten und nachgedacht habe,
tauchte die Frage auf: Wie ist es möglich,
dass die Mafia in Palermo so vorherrschend im Leben der Menschen ist und
so Wenige etwas dagegen sagen? Mit der
Zeit wird man nüchterner und distanzierter und beginnt zu verstehen, welch
absurde Kompromisse die Menschen
eingehen, um vorwärts zu kommen:
Indem sie so tun, als ob alles in Ordnung
wäre. Weil es schwer ist, ein Verhaltensmuster aufzugeben. Weil es, so bitter es
auch sein mag, sich im Augenblick besser
lebt, wenn man den Kopf in den Sand
steckt und abwartet, was passiert. Also
empfiehlt es sich, manchmal ein Kind
zu sein und mit einem kindlichen Blick
auf die Welt zu schauen. Das Problem
beginnt erst, wenn das Kind eines Tages
versteht, dass die Mafia nicht nur im
Sommer tötet.
Kann man von zwanzig Jahren Mafia
erzählen, mit einem Lächeln auf den
Lippen? Und kann man mit einer Komödie die großen Helden des Antimafiakampfes ehren, die ihren Mut mit
dem Leben bezahlt haben? LA MAFIA
UCCIDE SOLO D’ESTATE ist einer der
gelungensten und intelligentesten
Filme, die das italienische Kino in den
vergangenen Jahren hervorgebracht
hat. Das Verdienst gebührt ganz Pif, der
seinen Erfolgen als Autor und Moderator von Fernsehsendungen jetzt auch
dieses bemerkenswerte Debüt als Kinoregisseur hinzufügen kann. Ein Film, auf
den man stolz sein kann.
— Maurizio Acerbi, Il Giornale
Pressestimmen
Blaue Augen, von denen man sich
unmöglich losreißen kann, und ein
sizilianisches mit allen Wassern gewaschenes Lausbubenlächeln: Pierfrancesco
Diliberto, genannt Pif, hat etwas gewagt,
was vor ihm noch keiner geschafft hat:
Einen Film über die Mafia zu drehen und
sich darin über sie lustig zu machen. LA
MAFIA UCCIDE SOLO D’ESTATE, Pifs
Regiedebüt, ist zugleich Autobiographie,
poetische Zeitgeschichte und eine Erinnerung an die durch die Mafia getöteten
Helden. Ein mutiger Film mit einem mitreißenden Finale. Ein kleiner großer Film.
— Anna Maria Pasetti, Il Fatto Quotidiano
PIERFRANCESCO DILIBERTO (1972, Palermo)
Sohn des Regisseurs Maurizio Diliberto, hat sich schon früh dem Kino
verschrieben: Nach einem Studium
in London assistierte er zunächst
Marco Tullio Giordana bei dessen Film
I CENTO PASSI (100 Schritte, 2000).
Bekannt wurde Pif mit der Fernsehserie LE LENE, für die er als Co-Autor
und Co-Moderator tätig war. 2007
startete er seine eigenen Sendung IL
TESTIMONE, die seither sehr erfolgreich im italienischen Fernsehen läuft.
LA MAFIA UCCIDE SOLO D’ESTATE
(2013) ist sein Debüt als Regisseur.
Mittwoch, 03.12.
18:00 Uhr
Donnerstag, 04.12.
20:30 Uhr
Pressestimmen
L’INTREPIDO
Der Furchtlose
Italien 2013 · 104 Minuten · OmU
Regie:
Gianni Amelio
Drehbuch:
Gianni Amelio,
Davide Lantieri
Kamera:
Luca Bigazzi
Schnitt:
Simona Paggi
Ausstattung:
Giancarlo Basili
Musik:
Franco Piersanti
Produktion:
Carlo Degli Esposti
für Palomar
Darsteller:
Antonio Albanese
(Antonio Pane),
Livia Rossi, Gabriele
Rendina, Alfonso
Santagata, Sandra
Ceccarelli
Neues italienisches Kino
INHALT
Antonio Pane ist ein besonderer Mann.
Er lebt in Mailand und ist eigentlich
arbeitslos. Um morgens nicht ziel- und
planlos aufstehen zu müssen, hat er sich
etwas Außergewöhnliches ausgedacht:
Er ist Ersatzmann. Jeden Tag ersetzt
er, manchmal nur für wenige Stunden,
Arbeiter jeder erdenklichen Profession.
Möchte jemand mal kurz von der Arbeit
weg, Antonio übernimmt: Er mauert,
lenkt die Straßenbahn, fährt Pizza aus
oder bügelt. Er nimmt jeden Job an
und gibt niemals auf. Und trotz alledem
schafft er es auch noch, seinen Mitmenschen zu helfen, immer mit einem
Lächeln auf den Lippen.
GIANNI AMELIO ÜBER L’INTREPIDO
Mit L‘INTREPIDO erzähle ich von der
heutigen Realität, die hart und schwierig ist, voller Unsicherheiten für die
Zukunft. Aber ich versuche, es mit
Leichtigkeit anzugehen. Mehr als auf
die italienische Komödie beziehe ich
mich dabei auf den Stummfilm, auf
Charlie Chaplin und Buster Keaton. In
der Brust meines Protagonisten Antonio
schlummern zwei Seelen: Wenn er die
Arbeit eines anderen übernimmt, ist
er fröhlich, unbeschwert und unverzagt; in seiner Gefühlswelt jedoch ist
er zerbrechlich und schutzlos. Doch
mein Film schreit geradezu nach einem
glücklichen Ausgang, weil ich glaube,
dass es heutzutage gerade ein Muss ist,
positiv und furchtlos zu sein.
In L‘INTREPIDO erzählt Gianni Amelio
von Krise und Arbeitslosigkeit in Mailand,
also in der Stadt, die sich seit jeher mit
der Arbeits- und Geschäftswelt identifiziert hat. In seiner Figur des Antonio Pane
lässt er zahlreiche Facetten der Unsicherheit lebendig werden. Er lässt ihn diverse
Situationen durchleben, denen er stets
mit der gleichen Geduld und Genügsamkeit begegnet. Selbst gegenüber den offensichtlichsten Demütigungen gelingt es
ihm, seine Wut – die er wahrscheinlich in
sich trägt – in Resignation und Abkehr zu
verwandeln. Dabei regt Amelio den Zuschauer immer wieder zum Nachdenken
an. Um Arbeit zu finden, muss Antonio
nach Albanien auswandern und somit die
in Amelios Film LAMERICA erzählte Geschichte in entgegengesetzter Richtung
wiederholen. Im Vergleich mit den beiden
jüngeren Protagonisten scheint Antonio
über mehr Kräfte zu verfügen, um mit
den Schicksalsschlägen des Lebens fertig
zu werden. Aber er vermeidet es, nach
einer Lösung zu suchen oder wirklich
über die Situation nachzudenken. Er kann
nur lächeln. Aber ist das genug?
— Paolo Mereghetti, Corriere della Sera
L’INTREPIDO von Gianni Amelio erzählt
uns eine Geschichte, die trotz ihres beinah glücklichen Endes, und obwohl sie
dem Zuschauer hier und da ein Lächeln
entlockt, doch auch sehr schmerzvoll und
bitter ist. Denn trotz aller Gutmütigkeit
19 und trotz seines Optimismus trägt die
Hauptfigur Antonio Pane eine große
Traurigkeit in sich, was sich in der letzten
Szene erahnen lässt. Ein Schluss, der
an Filme von Chaplin erinnert. Und wie
könnte man nicht an Chaplin denken,
wenn man den großen Antonio Albanese als Antonio sieht, der in jeder Szene
unzählige Nuancen seiner großartigen
Schauspielkunst zeigt.
— Gian Luigi Rondi, Il Tempo
GIANNI AMELIO (1945, San Pietro Magi-
sano) arbeitete nach einem Philosophiestudium in den 1960er Jahren
zunächst als Regieassistent. Sein
Regiedebüt gab er 1970 mit dem
TV-Film LA FINE DEL GIOCO. Nach
LA CITTÀ DEL SOLE (1973) und LA
MORTE AL LAVORO (1978) etablierte
er sich mit seinen Filmen COLPIRE
AL CUORE (Ins Herz getroffen, 1982),
I RAGAZZI DI VIA PANISPERNA
(Enrico Fermi – Sein Weg zum Ruhm,
1988), PORTE APERTE (Offene Türen,
1989), IL LADRO DI BAMBINI (Gestohlene Kinder, 1992), LAMERICA (1994)
und COSI RIDEVANO (So haben wir
gelacht, 1998) als einer der bedeutendsten italienischen Regisseure der
Gegenwart. Weitere Filme: LE CHIAVI
DI CASA (Die Hausschlüssel, 2004),
LA STELLA CHE NON C’È (2006), IL
PRIMO UOMO (2011). L’INTREPIDO
(2013) ist sein neuester Film.
Sonntag, 30.11.
17:00 Uhr
Montag, 01.12.
20:30 Uhr
Neues italienisches Kino
20 MIELE
Honig
Italien 2013 · 93 Minuten · OmU
Regie:
Valeria Golino
Drehbuch:
Francesca Marciano,
Valeria Golino, Valia
Santella, nach dem
Roman »A nome tuo«
von Mauro Covacich
Kamera:
Gergely Poharnok
Schnitt:
Giogiò Franchini
Ausstattung:
Paolo Bonfini
Produktion:
Riccardo Scamarcio,
Viola Prestieri
für Buena Onda
Darsteller:
Jasmine Trinca
(Miele), Carlo Cecchi
(Carlo Grimaldi),
Libero De Rienzo,
Vinicio Marchioni,
Iaia Forte, Roberto
De Francesco,
Barbara Ronchi
INHALT
Die 30-jährige Irene hat ihr Leben in den
Dienst Schwerkranker gestellt, die ihrem
Leiden ein Ende setzen wollen. Unter dem
Decknamen »Miele« arbeitet sie heimlich
als Sterbehelferin und fliegt Monat für Monat nach Mexiko, um dort das Schlafmittel
Lampudal zu beschaffen. Sie macht das
nicht aus ideologischen oder humanitären
Gründen, auch nicht als Wiedergutmachung für den qualvollen Krankheitstod
ihrer Mutter. Für sie ist es lediglich ein
riskanter und illegaler, aber gut bezahlter
Job. Dennoch hat sie bestimmte Prinzipien, die ihr wichtig sind. Als sie eines Tages
der eigentlich kerngesunde 70-jährige
Ingenieur Carlo Grimaldi mit seinem
Sterbewunsch konfrontiert, werden ihre
Ansichten und Arbeitsprinzipien auf eine
harte Probe gestellt.
VALERIA GOLINO ÜBER MIELE
Irene ist eine ganz normale Frau aus der
heutigen Zeit. Es ist schwierig, sich in
den verschiedenen Aspekten eines ethischen Problems zu bewegen, für das wir
keine wirkliche Lösung kennen, das uns
im Einzelfall zur Verzweiflung treibt – und
dennoch habe ich mir die Freiheit genommen, keine Stellung zu beziehen. Bei
der Arbeit am Film habe ich mich selbst
sehr in Frage gestellt. Denn angesichts
eines derartigen Themas erscheint es
sogar oberflächlich, Erschütterung zu verlangen. Gleichzeitig geht es um komplexe
Sachverhalte, bei denen es nicht gelingt,
kühl und gleichgültig zu bleiben.
Pressestimmen
MIELE, das Regiedebüt der Schauspielerin Valeria Golino, ist von dem Roman
»A nome tuo« (In deinem Namen) des
Journalisten Mauro Covacich inspiriert.
Eine echte Mutprobe, sowohl was die
Thematik als auch die beachtlichen
Schwierigkeiten der Darstellung anbelangt. Die ebenso schöne wie schroffe
Jasmine Trinca spielt die 30-jährige
Irene, genannt Miele, die Todkranken
beim Sterben hilft. Der Film ist jedoch
nicht im Bereich des sozialkritischen
Kinos anzusiedeln, das den Zuschauer
zu einem Pro oder Contra Sterbehilfe
zwingen würde. Golino interessiert
sich vielmehr dafür, die verborgenen
Winkel der Psyche einer jungen Frau
auszuleuchten, die aufgrund ihrer Arbeit
als Sterbehelferin ihr eigenes Leben in
einem Zustand der Beklemmung und
Kälte verbringt. Der Zuschauer muss
selbst auf die Frage antworten, die der
Film indirekt stellt: Wie geht man mit
dem Tabu der Sterbehilfe um?
— Valerio Caprara, Il Mattino
Das italienische Kino hat eine neue
Regisseurin: Valeria Golinos Debüt ist
nicht nur aufgrund der Aktualität und
Relevanz seines Themas hervorzuheben,
sondern auch aufgrund seiner filmischen Qualitäten: Ein fast minimalistisches Drehbuch von Valia Santella und
Francesca Marciano, dessen erzählerische Spannung zu keinem Zeitpunkt
nachlässt, eine nüchtern-solide Regie,
große darstellerische Leistungen vor allem der beiden Hauptfiguren, dargestellt
von Jasmine Trinca und Carlo Cecchi
in Bestform und eine kluge Wahl von
bewusst anonymen Drehorten, die unterschwellig von einem kleinbürgerlichen
Italien auf der verzweifelten Suche nach
Werten erzählen. Ein Film, der also gar
nicht wie ein Erstlingswerk wirkt. Das
wiederholt man immer wieder, wenn ein
Debüt überzeugt. Und Valeria Golino hat
mit MIELE einen wahrlich mutigen Film
gedreht, der überzeugt.
— Alberto Crespi, l‘Unità
VALERIA GOLINO (Neapel, 1966) debütierte
mit 16 Jahren als Schauspielerin in
Lina Wertmüllers SCHERZO DEL DESTINO IN AGGUATO DIETRO L’ANGELO
COME UN BRIGANTE DA STRADA
(1983). Für ihre Rolle in STORIA
D’AMORE (1986) von Citto Maselli
wurde sie auf dem Filmfestival von Venedig als beste Schauspielerin ausgezeichnet. 1988 spielte sie an der Seite
von Dustin Hoffman und Tom Cruise
in Barry Levinsons Film RAIN MAN. In
Amerika arbeitete sie auch mit Sean
Penn und John Carpenter, in Italien u.a.
mit Antonio Capuano, Ferzan Ozpetek,
Giuseppe Piccioni, Gabriele Salvatores
und Silvio Soldini. Ihr Regiedebüt gab
sie 2011 mit dem Kurzfilm ARMANDINO E IL MADRE. MIELE (2013) ist ihr
erster abendfüllender Spielfilm.
Samstag, 06.12.
18:00 Uhr
Montag, 08.12.
18:00 Uhr
Neues italienisches Kino
21 PICCOLA
PATRIA
Kleines Vaterland
Italien 2014 · 111 Minuten · OmeU
Regie:
Alessandro Rossetto
Drehbuch:
Caterina Serra,
Alessandro Rossetto
Kamera:
Daniel Mazza
Schnitt:
Jacopo Quadri
Musik:
Paolo Segat, Alessandro
Cellai, Maria Roveran
Ausstattung:
Fenza Mara Calabrese
Produktion:
Gianpaolo Smiraglia,
Luigi Pepe für Arsenali
Medicei, Jump Cut
Darsteller:
Maria Roveran (Luisa),
Roberta Da Soller
(Renata), Vladimir Doda
(Bilal), Diego Ribon,
Lucia Mascino, Mirko
Artuso, Nicoletta Maragno, Matteo Cili, Giulio
Grogi, Drival Hajdaraj
INHALT
Luisa und Renata leben in einem kleinen
Dorf im Nordosten Italiens. Die lebhafte, ungehemmte und unkonventionelle
Luisa hat eine Beziehung mit dem
Albaner Bilal; Renata ist unsicher und
liebesbedürftig, aber auch zornig und
rachsüchtig. Beide träumen davon, aus
der kleinen Gemeinde, in der sie aufgewachsen sind, auszubrechen. Sie wollen
ihr bisheriges Leben, umgeben von frustrierten Familien und einer neuen Generation von Migranten, Richtung China
verlassen. Doch dafür brauchen sie Geld
– und sie versuchen, durch Erpressung
an das nötige Startkapital für ihr neues
Leben zu gelangen. Eine Entscheidung,
die eine Tragödie auslöst, die das Leben
aller zu ruinieren droht.
ALESSANDRO ROSSETTTO ÜBER PICCOLA PATRIA
Mein Film könnte überall in Italien
spielen, aber ich habe meine Geschichten im Nordosten Italiens gesucht und
gefunden. Hier liegen die Atmosphäre,
die Sprache, die Gesichter und die
Charaktere begründet. Mein Ansatz
war äußerlich, angefangen mit einem
Drehbuch, das jederzeit über den Haufen
geworfen werden konnte. Ich habe mich
der Improvisation und Beobachtung
geöffnet und so die Figuren in PICCOLA
PATRIA gestaltet. Der darin erzählte Konflikt liegt zwischen zwei Welten: die der
lebendigen, sinnlichen, freien der beiden
Mädchen, und die der bewegungslosen,
resignierten, doppelzüngigen Welt der
Erwachsenen. Und dennoch verbindet
beide Welten etwas, es ist ein dunkler
Bereich, eine Erinnerung, die die Körper
der Mädchen gezeichnet hat und die
unausgesprochen bleibt.
Pressestimmen
Wer bislang über das Fehlen von Realität
im italienischen Kino klagte, wird nun seine Meinung ändern müssen. Auch wenn
nach wie vor Komödien gedreht werden,
erzählen derzeit viele aktuelle Filme von
Krisen, Arbeitslosigkeit und sozialen Notlagen. Es ist ein erschreckendes Bild des
Nordostens, das Alessandro Rossetto in
seinem ersten Spielfilm zeichnet, häufig
mittels Luftaufnahmen, die ein trostloses
Bild der Landschaft und der Natur zeigen.
Doch auch die menschliche Natur, von
der er in seinem Film erzählt, ist genauso
schlimm: Zwischen der sonntäglichen
Messe und fremdenfeindlichen Versammlungen ist die einzige Sache die zählt das
Geld. Mit PICCOLA PATRIA hat Alessandro Rossetto einen glaubwürdigen und
beunruhigenden Film gedreht.
— Roberto Nepoti, la Repubblica
Mit PICCOLA PATRIA gelingt es Alessandro Rossetto, der bislang Dokumentarfilme gedreht hat, die feinen Risse
in unserem Land zu erforschen. Er
führt uns in einen Nordosten mit unbestimmten Grenzen, in dem Land und
Stadt aufeinander prallen. Und Alessandro Rossetto weiß, wohin er seinen
Blick lenken muss um Geschichten zu
finden, die von der Wirtschaftskrise,
der krampfhaften Suche nach einem
Schuldigen für die gegenwärtige Lage,
aber auch von Träumen erzählen.
— Cristina Piccino, Il Manifesto
ALESSANDRO ROSSETTO (1963, Padua) studier-
te Film und Anthropologie in Bologna
und Paris. 1997 drehte er seinen ersten
Dokumentarfilm IL FUOCO DI NAPOLI, es folgten BIBIONE BYE BYE ONE
(1999), CHIUSURA (2002), FELTRINELLI (2006) und RAUL (2007). 2010
widmete ihm das New York Documentary Film Festival eine Retrospektive.
PICCOLA PATRIA (2014) ist sein erster
abendfüllender Spielfilm.
Sonntag, 07.12.
19:00 Uhr
Neues italienisches Kino
Zu Gast:
Ottavia Nicolini
SACRO
GRA
Das andere Rom
nur wenige Meter neben den vorbeirasenden Autos. Welten in Bewegung, die
sich kreuzen, ohne voneinander etwas
zu ahnen. Bevor ich mit dem Filmen begann, gab es einen langsamen Prozess
der Annäherung an die Menschen und
ihre Geschichten. Es dauerte Monate,
die richtige Distanz zwischen Subjekt
und Kamera auszuloten, herauszufinden,
aus welchem Winkel man filmt, wie die
Einstellung sein muss. Wenn ich dann
endlich mit dem Drehen beginne, lösen
sich alle Zweifel in Luft auf. In diesem
Moment gibt es nur mich und die Wirklichkeit, selbst die Kamera scheint in
meinen Händen zu verschwinden.
+
VORFILM
TANTI FUTURI POSSIBILI.
CON RENATO NICOLINI
Die ewige Zukunft
Italien 2013 · 93 Minuten · OmU
Dokumentarfilm
Regie:
Gianfranco Rosi
Drehbuch:
Gianfranco Rosi,
nach einer Idee von
Nicolò Bassetti
Kamera und Ton:
Gianfranco Rosi
Schnitt:
Jacopo Quadri
Produktion:
Marco Visalberghi
für DocLab
INFO
Beim Filmfestival
von Venedig
2013 wurde
SACRO GRA,
als erster Dokumentarfilm überhaupt, mit dem
Goldenen Löwen
als Bester Film
ausgezeichnet.
INHALT
Es gibt das Rom der Paläste, Gärten und
historischen Sehenswürdigkeiten. Und
es gibt ein ganz anderes Rom, abseits
vom Zentrum und allen Touristenattraktionen, das Rom der Vororte, entlang des
riesigen Autobahnrings, des »Grande
Raccordo Anulare« (GRA), der die italienische Hauptstadt auf 70 Kilometern
Länge umgibt. Entlang dieser Tangente
macht sich Gianfranco Rosi auf die
Suche nach den Menschen und erzählt
ihre Geschichten. Der Biologe Francesco
führt einen verzweifelten Kampf gegen
gefräßige Käfer, die Italiens Palmenhaine bedrohen. Zwei ältere Prostituierte
warten an der Autobahn unverdrossen
auf Kundschaft. Der Fischer Cesare sorgt
sich um die Zukunft der einheimischen
Aale. Ein Rettungssanitäter birgt täglich
neue Unfallopfer. Und dann ist da der
verarmte Adelige Paolo, der mit seiner
erwachsenen Tochter auf engstem Raum
in einem Hochhaus lebt und uns durch
seine kauzige Art umgehend ans Herz
wächst.
GIANFRANCO ROSI ÜBER SACRO GRA
Der GRA, dieser niemals abschwellende
Strom aus Autos und seine Anwohner
sind eine Realität, die förmlich danach
schreit, gesehen und erkundet zu
werden. Sie enthüllt Widersprüche, bei
denen der Zuschauer vor Staunen mit
offenem Mund dasitzt: Ein Franziskanermönch fotografiert auf dem Seitenstreifen den Himmel; Schafsherden grasen
Pressestimmen
Die Autos rasen vorbei, die Jahreszeiten
wechseln. Sacro GRA ist ein einzigartiger Film, sowohl vom Aufbau als
auch von der Umsetzung. Stellenweise
scheint er gar das Gegenstück zu Paolo
Sorrentinos LA GRANDE BELLEZZA zu
sein. Als wären die Feste, die Terrassen,
Toni Servillos Irrfahrten durch Rom in
diesem urbanen Mosaik ohne Mittelpunkt, ohne Bewusstsein, ohne Grenzen
aufgegangen. Als wäre der GRA inzwischen auf tragische Weise endgültig
zur Via Veneto unserer Zeit geworden.
SACRO GRA ist mehr als ein Film, es
ist ein Epos der Bilder. Ein Epos, in dem
Fetzen von Geschichten auftauchen,
Bruchstücke von Existenzen, deren Profil
wir niemals wirklich erfassen werden.
— Fabio Ferzetti, Il Messaggero
GIANFRANCO ROSI (1964, Asmara/Eritrea),
studierte Film an der New York University Film School. Nach einigen Kurzfilmen
entstand 1993 sein mehrfach prämierter
Dokumentarfilm BOATMAN, gefolgt von
BELOW SEA LEVEL (Unter dem Meeresspiegel, 2008) und EL SICARIO – ROOM
164 (2010), das Aufsehen erregende
Porträt eines Auftragskillers. Für SACRO
GRA (2013) wurde er beim Filmfestival
von Venedig mit dem Goldenen Löwen
ausgezeichnet.
22 Italien 2012 · 33 Minuten · OmeU
Dokumentarfilm · Regie und Kamera: Gianfranco
Rosi · Schnitt: Jacopo Quadri · Produktion: Doclab
e La Femme Endormie, unter Beteiligung von Rai
Movie · Mitwirkende: Renato Nicolini
INHALT
Ein später Sommernachmittag im Jahr
2011: Renato Nicolini sitzt in Gianfranco
Rosis Minivan, den der Regisseur für seine Aufnahmen benutzt, und fährt auf der
römischen Ringstraße Grande Raccordo
Anulare. Hinter seinem Rücken zieht der
Verkehr in einem unaufhörlichen Fluss
vorbei, so wie die plötzlich aufsteigenden Gedanken und Beobachtungen,
denen Nicolini in freier Assoziation folgt.
HINTERGRUND
Aus Gianfranco Rosis Vorbereitungen für
seinen Film SACRO GRA entstand ein
kurzer Film, der Renato Nicolini, Architekt und Kulturdezernent der Stadt Rom
von 1976 bis 1985, gewidmet ist. TANTI
FUTURI POSSIBILI erzählt von Nicolinis
Reise auf dem GRA, diesem unendlichen
Straßenring, der die ewige Stadt umgibt.
Wie ein Charon, ein mythologischer
Fährmann, lässt Nicolini während seiner
Fahrt die Geschichte und Auswirkungen
des Baus dieser gigantischen Straße an
sich vorüberziehen.
Montag, 01.12.
18:00 Uhr
Mittwoch, 03.12.
20:30 Uhr
Neues italienisches Kino
nisches Gericht bezieht: Spaghetti sind
einfach, günstig, ein Arme-Leute-Essen,
wenn man so will. Aber genau aus diesem Grund voller Kreativität, Geschmack
und Leidenschaft.
SPAGHETTI
STORY
Pressestimmen
Italien 2013 · 82 Minuten · OmU
Regie:
Ciro De Caro
Drehbuch:
Ciro De Caro,
Rossella D’Andrea
Kamera:
Davide Manca
Schnitt:
Alessandro Cerquetti
Ausstattung:
Rocco Reida
Musik:
Francesco D’Andrea
Produktion:
Pier Francesco Aiello,
Andrea De Liberato
für PFA Films,
Enjoy Movies
Darsteller:
Valerio Di Benedetto
(Valerio), Cristian Di
Sante (Scheggia), Sara
Tosti (Serena), Rossella
D’Andrea (Giovanna),
Deng Xueying, Tsang
Wei Min
INHALT
Die vier Freunde Valerio, Scheggia, Serena und Giovanna brennen darauf, etwas
aus ihrem Leben zu machen. Valerio hält
sich für einen guten Schauspieler, muss
sich aber mit kleinen Rollen über Wasser
halten. Scheggia lebt noch bei seiner
Großmutter, strebt jedoch eine »höhere
Position« an. Serena ist Studentin, will
aber eigentlich mit Valerio eine Familie
gründen. Giovanna ist Masseurin, träumt
aber von einer Karriere als Chefköchin. Sie
alle hoffen auf den großen Durchbruch,
doch der lässt auf sich warten. Dann tritt
Mei Mei in ihr Leben, eine junge chinesische Prostituierte, die in Schwierigkeiten
steckt, und plötzlich verändert sich alles.
CIRO DE CARO ÜBER SPAGHETTI STORY
In SPAGHETTI STORY wollte ich meine
eigene Generation darstellen. Es ist ein
Low-Budget-Film über junge Leute, deren
Horizont begrenzt ist, die in ihrem Inneren
aber voller Lebenslust stecken und alles
andere als Spießer sind. Obwohl sie in
Probleme verstrickt werden, die größer
sind als sie selbst, kommen sie denjenigen zu Hilfe, die sich in Not befinden.
SPAGHETTI STORY repräsentiert meine
Generation nicht nur über die Handlung,
sondern vor allem auch über seine Machart. Es ist ein einfacher Film, gedreht in
nur elf Tagen, mit Schwierigkeiten und
unvorhergesehen Zwischenfällen, und
mit Equipment, das im Kofferraum eines
normalen Autos Platz findet. Es ist kein
Zufall, dass der Titel sich auf ein uritalie-
Wer eine Alternative zu den üblichen
oberflächlichen Komödien sucht, wer
das italienische Kino und vor allem seine
Independent-Produktionen liebt, wird
in SPAGHETTI STORY ganz auf seine Kosten kommen. Ein kleiner autarker Film,
eine gleichzeitig ironische und feinfühlige
Komödie des römischen Regisseurs Ciro
De Caro, Jahrgang 1975. Sein Spielfilmdebüt ist ein Porträt der Generation der
heute Dreißigjährigen, die in Zeiten der
Unsicherheit und Krise leben. Ein vielversprechender Erstling.
— Gabriella Gallozzi, l‘Unità
Eine ebenso authentische wie unterhaltsame Komödie. Ciro De Caro beschreibt
die Jugend äußerst realistisch, beginnend bei vielen Alltagsdetails und den
fehlenden Berufsaussichten einer ganzen Generation. Treffsicher stellt De Caro
23 die Mischung aus Erniedrigung und
Apathie dar. Wir sehen die Folgen einer
für ein ganzes Land surrealen und
befremdenden Situation. Denn Valerio
und Scheggia sind, ebenso wie Serena
und Giovanna, anständige Menschen,
die so gut wie eben möglich auf die
Ungerechtigkeiten ihrer Lebensumstände reagieren. Niemand in SPAGHETTI
STORY hat einfach nur Recht, alle tasten
sich irgendwie vorwärts, so wie der
Großteil der Italiener angesichts der
Krise. Es ist das Alter der Protagonisten,
das dieses perspektivlose Umherirren
so dramatisch macht. Denn, so erinnert
sich Valerio: »Mein Vater hatte mit
29 schon zwei Kinder und eine sichere
Arbeit.«
— Paola Casella, MyMovies
CIRO DE CARO (1975, Rom) drehte nach
seinem Abschluss in Kommunikationswissenschaften verschiedene Kurzfilme
und Musikvideos und führte Regie bei
zahlreichen Werbespots. Mit der Komödie SPAGHETTI STORY (2013) gibt er
sein Debüt als Spielfilmregisseur.
Freitag, 05.12.
18:00 Uhr
Samstag, 06.12.
22:30 Uhr
Neues italienisches Kino
24 TUTTI CONTRO
TUTTI
Jeder gegen Jeden
Italien 2013 · 90 Minuten · OmU
Regie:
Rolando Ravello
Drehbuch:
Massimiliano Bruno
Rolando Ravello nach
einem Theaterstück von
Massimiliano Bruno
Kamera:
Paolo Carnera
Schnitt:
Clelio Benevento
Ausstattung:
Alessandro Vannucci
Musik:
Alessandro Mannarino
Tony Brundo
Produktion:
Domenico Procacci
für Fandango
Darsteller:
Rolando Ravello (Agostino), Kasia Smutniak
(Anna), Marco Giallini
(Sergio), Stefano Altieri
(Opa Rocco), Raffaele
Iorio (Lorenzo), Agnese
Chinassi (Erica), Lidia
Vitale (Romana), Flavio
Bonacci, Antonio
Gerardi
INHALT
Der Arbeiter Agostino lebt mit seiner
Frau Anna, seinen Kindern Erica und
Lorenzo, seinem Schwager Sergio, dessen Frau Romana, deren Kindern und
dem griesgrämigen Großvater Rocco
in einem kleinen Haus am Stadtrand
Roms. Als die ganze Familie eines
Tages von der Erstkommunionsfeier
Lorenzos nach Hause zurückkommt,
muss sie feststellen, dass ihr Haus
besetzt ist. Kurzentschlossen zieht die
Familie auf den Treppenabsatz vor der
Wohnung – ein erbitterter Kampf um
das Recht auf ein Dach über dem Kopf
beginnt.
Rolando Ravello Über tutti Contro tutti
Das Projekt entstand vor sieben Jahren,
als der echte Agostino mich anrief und
berichtete, dass man ihm sein Zuhause
gestohlen hatte. Gemeinsam mit Massimiliano Bruno dachte ich sofort an
eine Komödie über die Schlachten, die
man in der heutigen Zeit auszutragen
hat. Unser Ziel war es, die Realität so
darzustellen, dass man über sie lachen
kann, mit Ironie, wie wir Italiener es am
besten können. TUTTI CONTRO TUTTI
erzählt von Dingen, die mir wirklich am
Herzen liegen. Ich mag Leute, die vom
Pech verfolgt sind. Irgendwie kann ich
mich in sie hinein fühlen. Es hat sechs
Jahre gedauert, diesen Film zu drehen,
aber ich glaube, es war die Mühe wert.
Pressestimmen
TUTTI CONTRO TUTTI behandelt ein
dramatisches Problem: das Recht auf
ein Dach über dem Kopf. In einem Land,
in dem die Wohnungsmieten – ganz zu
schweigen von den Kaufpreisen – für
viele unerschwinglich sind, gibt es darauf bei weitem keine Garantie. Rolando
Ravellos Komödie berührt den Kern dieses Missstandes mit zurückhaltendem
Humor und einem liebevollen Blick auf
die kleine Welt ihrer gutherzigen Protagonisten, die durch den zunehmenden
sozialen Verfall ihrer Umgebung in
Schwierigkeiten geraten.
— Alessandra Levantesi, La Stampa
TUTTI CONTRO TUTTI ist das Regiedebüt des Schauspielers Ravello, den wir
aus vielen Filmen Ettore Scolas kennen.
Dieses Debüt hat eine Geschichte.
Anfangs handelte es sich um ein von einem realen Fall inspiriertes Theaterstück
von Massimiliano Bruno, der auch das
spätere Drehbuch für den Film geschrieben hat. Es trug den Titel »Agostino«,
den Namen des Protagonisten, der von
Ravello selbst gespielt wurde. Danach
drehte Ravello einen Dokumentarfilm
über das gleiche Thema. Es ist faszinie-
rend, mit einem Abstand von mehr als
60 Jahren erneut TOTÒ CERCA CASA
anzusehen, der die Wohnungsnot
nach dem Krieg thematisierte. Auch
deshalb, weil in TUTTI CONTRO TUTTI
die Stilmittel der Komödie nur sparsam
eingesetzt sind, scheint der Film uns zu
sagen: »Ich will euch unterhalten und
zum Lachen bringen und gebe mir auch
wirklich alle Mühe, aber leider gibt es
wenig zu lachen.« Vor allem diejenigen,
die selbst von sozialen Problemen betroffen sind, erleben eine Situation wie
in einem Schützengraben, in dem nur
die gegenseitige Hilfe und der Zusammenschluss verloren gegangen sind.
Hier heißt es, jeder für sich und gegen
alle anderen.
— Paolo D‘Agostini, la Repubblica
Rolando Ravello (1969, Rom) begann sei-
ne Karriere als Moderator von Kindersendungen, bevor er in Ettore Scolas
Filmen ROMANZO DI UN GIOVANE
POVERO (1995) und LA CENA (1998)
sein Kinodebüt feierte. 2006 spielte
er die Hauptrolle in der TV-Verfilmung
IL PIRATA: MARCO PANTANI. Zwischen 2008 und 2011 war er einer
der Protagonisten der Serie LA SQUADRA, parallel arbeitete er am Theater.
TUTTI CONTRO TUTTI (2013) ist sein
Debüt als Regisseur.
Einführung
Hommage Giuseppe Tornatore
25 Blicke,
Bildausschnitte,
Visionen:
Giuseppe Tornatore
Giovanni Maria Rossi
Giuseppe Tornatore vertraut sein Kino
sowohl den individuellen als auch den
kollektiven Fragmenten der Erinnerung
an, um die Zeit anzuhalten und filmisch
aufzuzeichnen. Er konstruiert einen
»Bildteppich«, in dem sich »Geruch, Licht,
Empfindungen, Episoden, Gesichter, Klänge, Sätze, Handlungen« mischen, aber
die filmische Erzählung wird der eigenen
Masse an Geschichten und Erfahrungen aus der Distanz entnommen – in
Tornatores Fall der in Sizilien verbrachten
Kindheit und Jugend und den Geschichten derer, die ihm in der ersten Hälfte des
Jahrhunderts vorausgegangen sind. Eine
Rückkehr auf die Insel jedoch ist unmöglich oder zu schmerzhaft geworden.
Giuseppe Tornatore bei den Dreharbeiten zu BAARÌA ≥ S. 30
Die Zeit wiederzufinden ist nicht immer
synonym mit der Versöhnung mit den
eigenen Wurzeln oder der Sehnsucht,
eine untergegangene Welt wieder auszugraben. Die Rückkehr des erwachsenen
»Odysseus« Salvatore in das Dorf seiner
Kindheit in NUOVO CINEMA PARADISO
(Cinema Paradiso, IT/FR 1988) bedeutet
nur, dass der Untröstliche mit dem Tod
und der Vergänglichkeit konfrontiert
wird, während der Betrüger Joe Morelli
in L’UOMO DELLE STELLE (Der Mann,
der die Sterne macht, IT 1995), der kein
Sizilianer ist, von dort eine Sammlung
gestohlener Porträts, Gesichter, Gesten,
Geständnisse und unerzählter Lieben,
aber auch Geld und eine uneingestandene Schuld mitbringt. Und Peppino
Torrenuova in BAARÌA (Baarìa – Eine
italienische Familiengeschichte, IT/FR
2009) erfährt in dem unendlichen Zeitraum, in dem ein Junge eine Packung
Zigaretten holt, wie Jahrzehnte vergangener Geschichte und kleinstädtische
Erzählungen wieder lebendig werden,
nur um bei seiner Rückkehr aus dem
Exil festzustellen, dass niemand seine
Abwesenheit bemerkt hat. Die Zeit auf
Sizilien ist nicht (mehr) verloren, sie ist
zum Stillstand gekommen.
Obwohl sich das Gedächtnis und die Erinnerungen seiner filmischen Charaktere
von seinen eigenen unterscheiden, setzt
Tornatore auch visuelle Prozesse in Gang,
die zu einem Schlüssel für die Interpretation seiner filmischen Erzählungen
werden. Wenn beispielsweise der Schriftsteller Onoff in UNA PURA FORMALITÀ
(IT 1994) bei einem Polizeiverhör in die
Zange genommen wird, werden in seiner
Erinnerung die Bilder einer möglichen Tat
wiederbelebt. Max Tooney, Trompeter der
Bordkappelle des Ozeandampfers »Virginia«, in LA LEGGENDA DEL PIANISTA
SULL’OCEANO (Die Legende vom Ozeanpianisten, IT 1998) ist der Erzähler und
einzige Zeuge der mythischen Geschichte
von Novecento und dessen unnachahmlicher Musik. Mit seinen Erinnerungen
führt er uns durch die filmischen Bilder
und entwirrt das Rätsel, das sie zunächst
darstellen. Es ist eine wie in Kreisen
erzählte Geschichte, wie eine beschädigte Schallplatte, auf der die Nadel immer
wieder an den Anfang einer Melodie
Blicke, Bildausschnitte, Visionen:
Giuseppe Tornatore
springt, der Melodie einer Aufnahme, die
in einem alten Musikalienladen wiedergefunden wurde: Eine Madeleine aus
Schellack, die die Erinnerung wieder zum
Leben erweckt.
Die Ukrainerin Irena in LA SCONOSCIUTA
(Die Unbekannte, IT/FR 2006), die einen
riskanten Neuanfang in einem fremden
und abweisenden Land wagt, wird von
beängstigenden Erinnerungsbildern aus
ihrer Vergangenheit heimgesucht, die
zerstörerisch, mysteriös und unfassbar
zugleich sind. Und der nicht mehr junge
Virgil Oldman in LA MIGLIORE OFFERTA
(The Best Offer – Das höchste Gebot,
IT 2013), der sein Leben in Einsamkeit
verbracht hat, um in der Kunst das Echte
vom Falschen unterscheiden zu können,
wird Opfer eines teuflischen Betrugs und
verliert auf einen Schlag sein gesamtes
Vermögen sowie seine Selbstachtung.
Nach einem Nervenzusammenbruch
klammert er sich an einen Satz von Claire,
der Frau, die er bloßgestellt hat: »Was
auch immer geschieht, meine Liebe ist
wahr«. Und an den Namen eines Prager
Restaurants, »Night and Day«, das er
aufsuchen wird, um dort auf seine große
Liebe zu warten und ihr das letzte Kunstwerk zu übergeben, das ihm geblieben ist:
das falsche Porträt von ihr.
Aber die Erinnerung alleine erzählt keine
Geschichten und dreht keine Filme. Es
braucht noch eine weitere grundlegende Zutat: den Blick. Schon Ende der
1950er Jahre berauschte sich der kleine
Giuseppe Tornatore an den Filmen, die er
auf der »magischen Leinwand« des zwei
Schritte von seinem Elternhaus entfernten Supercinema sah. Aber seine weit
geöffneten, neugierigen Augen gingen
auch gerne jenseits der Leinwand flanieren, hinaus auf die verschlungenen Straßen und kleinen Plätze von Bagheria, wo
er mit seinem Fotoapparat Jagd auf reale
Lebewesen machte. Die Fotografie, die
ihn im Laufe seiner beruflichen Karriere
stets begleiten würde, war für Tornatore
der erste Schritt auf einer Entdeckungsreise in die Realität. Doch diese frühen
unbeweglichen Fotografien sollten lebendig werden und die Geschichten, Farben
und Klänge einer Erzählung oder eines
Märchens annehmen. So musste er sie
in Bewegung setzen. Anfang der 1970er
Jahre gelang es dem jungen Tornatore,
der schon ein erfahrener Filmvorführer
war, seinen Traum zu verwirklichen und
auf den Straßen von Bagheria mit einer
Super 8 Kamera zu filmen. Es war der offizielle Eintritt in das betörende Reich des
Kinos, und wenn es stimmt, was der erwachsene Tornatore behauptet, dass der
Beginn der Arbeit an jedem Film immer
noch den Zauber, die Gefühle, die Ängste und die Überraschungen jenes »ersten
Mals« in sich trägt, überrascht es nicht,
dass sich Tornatore dieses Staunen und
die Reinheit des ursprünglichen Blicks
bewahrt hat, und seine Filme lediglich
technisch elaborierter, aufwändiger und
gehaltvoller geworden sind.
26 Giuseppe Tornatore bei den Dreharbeiten zu
LA SCONOSCIUTA ≥ S. 31
Einführung
Hommage Giuseppe Tornatore
Auch die Protagonisten seiner Geschichten, seien sie distanzierte Reflexionen
über persönlich Erlebtes oder autonome
Wesen, lernen für die Dauer des Films
und auch darüber hinaus »die Welt
zu sehen«, oft indem sich der subtile
Voyeurismus des Kinozuschauers mit
dem expliziteren der Figuren (wie denen
in NUOVO CINEMA PARADISO, L’UOMO
DELLE STELLE, MALÈNA, LA SCONO­
SCIUTA, oder BAARÌA) in einem endlosen
Spiel aus Spiegelungen überlagert. Für
diesen Teil von Tornatores Kino kann sich
das Auge als geradezu überflüssig erweisen, da es sich alles Sichtbare schon
angeeignet hat. Symptomatisch dafür ist
der Ausspruch des Filmvorführers Alfredo
in NUOVO CINEMA PARADISO: Da er
zwei Drittel seines Lebens im Vorführraum verbracht hat und das wenige, das
er von der Welt weiß, der doppeldeutigen
Weisheit der Filme entnommen hat, kann
er sagen: »Jetzt, wo ich das Augenlicht
verloren habe, sehe ich mehr.«
In LA LEGGENDA DEL PIANISTA
SULL’OCEANO, einem Film, der eine sehr
passende Metapher für die Imagination
des Menschen ist, fluktuieren die Blicke
aller Passagiere in der Luft, sie durchstechen Glasfenster, Mauern aus Wasser
und selbst dicke Nebelschichten, die den
unwirklichen Umriss der Freiheitsstatue
trüben, aber niemand kann sich einen
wirklichen Eindruck davon machen, was
jenseits der Grenzen des Schiffes vor sich
geht. Es ist die kollektive Sehnsucht der
Emigranten und Reisenden erster Klasse,
die die Silhouette der New Yorker Skyline
vor ihnen erstehen lässt, beinahe wie in
einem Akt des Glaubens. Nur Novecento, der sich sein Leben Tag für Tag und
Nacht für Nacht im Inneren des stählernen Walfischs eingerichtet hat, vertraut
seinem eigenen Blick nicht mehr. Denn
als der Augenblick gekommen ist, zwischen Dunkelheit und Licht zu wählen,
zwischen der schwimmenden Insel oder
dem Festland, der Einsamkeit oder dem
flüchtigen Glück der Welt sagt er: »Nicht
das, was ich sah, ließ mich innehalten,
sondern das, was ich nicht sah.« Und er
wählt den Tod.
Vielleicht hat auch Giuseppe Tornatore
nach und nach erkannt, dass das Auge
eines im 21. Jahrhundert lebenden
Menschen nicht mehr das von Leonardo
Da Vinci ist, der es als »Fenster zur Seele«
bezeichnet hat. Das müde umherziehende Auge, getrübt vom Lichterglanz
des Großstadtdschungels und von hell
erleuchteten Kinos, ist, trotz Sehhilfen,
nicht mehr in der Lage, die Konturen und
Details der Körper und deren Dissonanz
zum Bewusstsein zu fokussieren. Es
braucht beständige Pflege und Übung
und andere Totòs, Alfredos, Matteos,
Amletos, Onoffs, Joes, Dannys, Renatos,
Irenas, Peppinos, Virgils und all diejenigen, die gelernt haben, ihren Blick ins Innere zu richten, und dadurch in der Lage
sind, auch mit geschlossenen Augen und
im Dunkeln zu uns zu sprechen.
27 Aus: L’uomo dei sogni.
Il cinema di Giuseppe
Tornatore, Hrsg.: Marco
Luceri und Luigi Nepi,
Gruppo Toscano del
Sindacato Nazionale
Critici Cinematografici
Italiani, Edizioni ETS,
Pisa 2014.
L’UOMO DELLE STELLE ≥ S. 33
Blicke, Bildausschnitte, Visionen:
Giuseppe Tornatore
Giuseppe Tornatore (1956, Bagheria bei Pa-
lermo) arbeitete in Jugendjahren bereits
als Fotograf. Seine ersten filmischen
Arbeiten waren Dokumentarfilme, daraus resultierte Ende der 1970er Jahre die
Zusammenarbeit mit dem Fernsehsender
Rai, für den er verschiedene Dokumentationen über Sizilien und bedeutende
sizilianische Persönlichkeiten drehte:
DIARIO DI GUTTUSO, RITRATTO DI UN
RAPINATORE, SCRITTORI SICILIANI E
CINEMA: VERGA, PIRANDELLO, BRANCATI, SCIASCIA. 1984 war er an der Realisation von Giuseppe Ferraras Film CENTRO GIORNI A PALERMO (Die hundert
Tage von Palermo) beteiligt, zwei Jahre
später drehte er mit I CAMORRISTA sein
Spielfilmdebüt. Einem internationalen
Publikum bekannt wurde er mit NUOVO
CINEMA PARADISO (Cinema Paradiso,
1988), der neben vielen anderen Preisen
mit dem Oscar als bester fremdsprachiger Film ausgezeichnet wurde. Es folgten
die Filme: STANNO TUTTI BENE (Allen
geht’s gut, 1989), UNA PURA FORMALITÀ (Eine reine Formalität, 1994),
L’UOMO DELLE STELLE (Der Mann, der
die Sterne macht, 1995), LA LEGGENDA DEL PIANISTA SULL’OCEANO (DIE
LEGENDE VOM OZEANPIANISTEN,
1998), MALÈNA (DER ZAUBER VON
MALÈNA, 2000). Nach einer längeren
Pause als Regisseur realisierte er 2006
mit LA SCONOSCIUTA (Die Unbekannte)
wieder einen Spielfilm und eröffnet 2009
mit BAARÌA (BAARÌA – Eine italienische
Familiengeschichte) die 66. Filmfestspiele von Venedig. LA MIGLIORE OFFERTA
(The Best Offer – Das höchste Gebot,
2013) ist sein neuester Film.
Giuseppe Tornatore bei den Dreharbeiten zu LA MIGLIORE OFFERTA ≥ S. 29
LA SCONOSCIUTA ≥ S. 31
28 Samstag, 29.11.
19:00 Uhr
Hommage Giuseppe Tornatore
LA MIGLIORE
OFFERTA
The Best Offer –
Das höchste Gebot
Italien 2013 · 124 Minuten · engl. OmU
Regie und Drehbuch:
Giuseppe Tornatore
Kamera:
Fabio Zamarion
Schnitt:
Massimo Quaglia
Musik:
Ennio Morricone
Ausstattung:
Maurizio Sabatini
Produktion:
Isabella Cocuzza,
Arturo Paglia für
Paco Cinematografica
Darsteller:
Geoffrey Rush (Virgil
Oldman), Jim Sturgess
(Robert), Sylvia Hoeks
(Claire), Donald Sutherland (Billy Whistler),
Philip Jackson, Dermot
Crowley, Liya Kebede
INHALT
Der 60-jährige exzentrische Virgil Oldman
ist ein genialer und weltweit geschätzter
Kunstexperte und Auktionator. Er führt
ein ebenso luxuriöses wie einsames
Leben. Noch nie ist er eine engere Beziehung zu einem anderen Menschen eingegangen, denn seine ganze Leidenschaft
gilt der Kunst. Eines Tages erhält er einen
telefonischen Auftrag von Claire, einer
jungen Erbin aus reicher Familie, die ihn
beauftragt, ihre Sammlung kostbarer
Kunstwerke zu schätzen. Beim Besuch in
ihrer Villa spricht sie, die an einer mysteriösen Krankheit leidet, jedoch nur durch
ein Loch in der Wand eines Zimmers
mit ihm. Schon nach kurzer Zeit wird
Virgil von einer unstillbaren Leidenschaft
für Claire gepackt, die ihn nicht mehr
loslässt, und die sein Leben grundlegend
auf den Kopf stellt.
GIUSEPPE TORNATORE ÜBER LA MIGLIORE OFFERTA
Was mich an LA MIGLIORE OFFERTA
am meisten fasziniert hat, ist die Figur
des Protagonisten. Anfangs tritt er als
ein fast unanständiger Charakter in
Erscheinung, um dann allmählich eine
Metamorphose zu durchleben, die
ihn am Ende zu einem völlig anderen
Menschen werden lässt, für den man ein
tiefes Mitgefühl, wenn auch kein Mitleid
empfinden kann. Der Virgil Oldman, den
wir am Ende sehen, ist uns nicht etwa
sympathisch, weil er besiegt ist. Denn
in Wirklichkeit hat er gewonnen, weil er
etwas entdeckt hat, was er vorher nicht
kannte: Er hat zu lieben gelernt. Ja, er hat
betrogen, aber er hat etwas viel Wichtigeres und Schöneres kennengelernt. Diese
Verwandlung gefällt mir und zugleich hat
mich die Herausforderung gereizt, alles
aus seinem Blickwinkel zu erzählen.
Pressestimmen
Ebenso wie in seinen vorherigen Filmen
UNA PURA FORMALITÀ und LA SCONOSCIUTA kehrt Giuseppe Tornatore
mit LA MIGLIORE OFFERTA zu dem von
ihm geschätzten Genre des psychologisch-metaphysischen Thrillers zurück.
Tornatore entwirft in einer ungenannten
mitteleuropäischen Stadt (in Wirklichkeit
Triest) eine faszinierende Liebesgeschichte zwischen dem neurotischen Virgil
Oldman, einem berühmten Auktionator,
und einer jungen Frau, die aufgrund einer
schweren Agoraphobie eingeschlossen in
einer verfallenen Villa voller alter Raritäten
lebt. Giuseppe Tornatore erzählt die von
der Musik Ennio Morricones wunderbar
in Szene gesetzte Geschichte gekonnt
und raffiniert wie einen Drahtseilakt
voller Suspense – und hält die Spannung
bis zum Schluss. Und Geoffrey Rushs
Darstellung eines Mannes, der auf dem
29 Gipfel seiner Einsamkeit in die Spirale
einer unheimlichen Liebesobsession
gerät, ist einfach einzigartig.
— Alessandra Levantesi, La Stampa
LA MIGLIORE OFFERTA ist ein ambitionierter Film, dem es gelingt, die
Zuschauer mitzureißen und in die
Geschichte hineinzuziehen. Und er
zeigt erneut das Können des Regisseurs
Giuseppe Tornatore, dem es gelingt,
einen klassischen Thriller zu drehen, der
seine Spannung bis zum Schluss hält.
Wie aber gelingt es ihm, auf einen so
leidenschaftlichen und ursprünglichen
Film wie BAARÌA scheinbar mühelos
einen derart abstrakten Film folgen zu
lassen? Wie gelingt ihm die Verbindung
zwischen seinen autobiographisch
geprägten Autorenfilmen und seinen
klassischen Genrefilmen? Es ist sein
Wille zur stetigen Veränderung, in
jedem Film nach einer Originalität und
Wahrheit zu suchen, die er höher schätzt
als sich darüber Gedanken zu machen,
ob es sich um einen »anspruchsvollen«,
»unterhaltenden«, »persönlichen« oder
»genrehaften« Film handelt.
— Paolo Mereghetti, Corriere della Sera
Sonntag, 30.12.
11:30 Uhr
Hommage Giuseppe Tornatore
BAARÌA
Baarìa –
Eine italienische
Familiengeschichte
von sizilianischen Schwächen verseucht
wird. Ich hatte also genügend Zeit, sie alle
aufzusaugen. Allen voran sicherlich die
Vorstellung, dass der Ort deiner Geburt
der Mittelpunkt der Welt ist, noch mehr:
die Welt selbst. Und schließlich, aber nicht
weniger ernsthaft, die kurzlebige Flucht in
deine Erinnerungen, sobald du erkennst,
dass die Welt in Wirklichkeit immer woanders war und sich auch ohne dich gedreht
hat. Nun, um jene Unschuld zurückzuerobern, die ich an dem Tag verlor, als ich
das Schiff aus Sizilien verließ, oder noch
schlimmer, um in meinen Schwächen,
die ich als Baariòto habe, 20 Jahre lang
konsequent zu bleiben, habe ich darüber
nachgedacht, einen Film über diese einzigartige und zeitlose Phase meines Lebens
zu machen. Die Zeit, als das Universum in
der Via Gioacchino Guttuso 114 begann,
sich vom Piazza Madrice entlang der Allee
des Corso Umberto entfaltete und am
Kreisverkehr von Palagonia endete. Es sind
alles in allem nur ein paar Hundert Meter.
Aber wenn du sie jahrelang auf- und abgehst, kannst du Dinge lernen, die dich die
ganze Welt niemals lehren wird.
Italien 2009 · 150 Minuten · OmU
Regie und Drehbuch:
Giuseppe Tornatore
Kamera:
Enrico Lucidi
Schnitt:
Massimo Quaglia
Musik:
Ennio Morricone
Ausstattung:
Maurizio Sabatini
Produktion:
Marina Berlusconi,
Tarak Ben Ammar
für Medusa Film,
Quinta Communications, Exon Film
Darsteller:
Francesco Scianna
(Peppino), Margareth
Madè (Mannina),
Angela Molina (Sarina)
Nicole Grimaudo (Sarina
als Jugendliche), Lina
Sastri (Die Bettlerin),
Salvo Ficarra (Nino),
Valentino Picone
(Luigi), Gaetano Aronica
(Ciccio), Alfio Sorbello
(Ciccio als Jugendlicher), Luigi Lo Cascio,
Enrico Lo Verso, Nino
Frassica, Laura Chiatti,
Michele Placido
INHALT
BAARÌA erzählt die Geschichte einer
sizilianischen Familie über drei Generationen hinweg – vom Stammvater Ciccio,
über den Sohn Peppino, bis zum Enkel
Pietro – und zugleich fünfzig Jahre italienische Geschichte, ausgehend von der
Zeit des Faschismus: Der bescheidene
Schäfer Ciccio widmet sich mit Hingabe
der Lektüre von Ritterromanen. Während
das Land in der Nachkriegszeit in Hunger
und Elend versinkt, entdeckt Ciccios
Sohn Peppino, dass die Welt voller
Ungerechtigkeit ist, er wird glühender
Kommunist und engagiert sich in der Politik. Als Peppino der schönen Mannina
begegnet und sich in sie verliebt, wird
ihre Beziehung aufgrund seiner politischen Tätigkeit von allen bekämpft. Aber
manchmal überwinden ein entschlossener Wille und die Liebe alle Hindernisse.
GIUSEPPE TORNATORE ÜBER BAARÌA
Laut einer der unzähligen gängigen
Etymologien stammt Bagheria von Bab
el gherid ab, was auf Arabisch so viel
wie »Das Tor des Windes« bedeutet.
Doch seit alters her haben wir es immer
Baarìa genannt. Baarìa in der Provinz
Palermo ist die Stadt, in der ich geboren
wurde und bis zu meinem 28. Lebensjahr
gelebt habe. Nach Don Fabrizio Salina,
dem Prinzen in Lampedusas Roman
»Der Leopard«, war ich damit zu alt. Er
behauptete, dass junge Männer Sizilien
verlassen sollten, bevor sie 17 werden,
um zu verhindern, dass ihr Charakter
30 Pressestimmen
Trotz der vielfach geäußerten Polemik
über die hohen Kosten und über die
Tatsache, dass Silvio Berlusconi den
Film finanziert hat: BAARÌA ist ein
schöner Film! Seine Schönheit liegt in
seiner erzählerischen Kraft, in seiner
Kombination aus monumentalem
Minimalismus oder, wie Tornatore es
ausgedrückt hat: in seiner epischen
Komödienhaftigkeit. BAARÌA erzählt
eine große, kollektive und epochale
Geschichte, die Geschichte eines
Landes und einer Familie. Vor allem
aber erzählt BAARÌA die Geschichte
der kommunistischen Utopie, anhand
der Auswirkungen der Politik auf das
Leben einer Familie.
— Paolo D’Agostini, la Repubblica
BAARÌA ist vermutlich nicht der kostspieligste Film in der Geschichte des
italienischen Kinos, aber mit Sicherheit einer der ehrgeizigsten. Das liegt
nicht so sehr an der Geschichte, die
beinahe fünfzig Jahre, von den 1930er
bis in die 1980er Jahre und das Leben
zweier Generationen einer Familie
umspannt, sondern an Tornatores
Willen, das Kino wieder als poetischen
Apparat zu begreifen, als Lunte, die
zugleich die Fantasie und das Staunen
entfacht und das Kino als Ort der
kulturellen Vermittlung begreift. Ein
beinahe epischer Ehrgeiz, der aber
glücklicherweise, ohne Heroismus und
leichtfertige Nostalgie daherkommt.
Die Inszenierung, die ohne rhetorische
Ausschmückungen auskommt und die
großartige Regie finden in der Erzählung der Geschichte eines Landes und
einer Familie, soziologischen Betrachtungen und Momenten der Zeitgeschichte, realen und erfundenen Ereignissen, Erinnerungen und Reflexionen
aufs wunderbarste zusammen. Und
am Ende des Films hat der Zuschauer
einen Blick in das sizilianische Leben
erhascht, gerade so, als wäre er für
eine Weile ein Teil davon geworden.
— Paolo Mereghetti, Corriere della Sera
Freitag, 05.12.
22:30 Uhr
Hommage Giuseppe Tornatore
31 LA SCONOSCIUTA
Die Unbekannte
Italien 2006 · 118 Minuten · OF mit engl./frz. UT
Regie und Drehbuch:
Giuseppe Tornatore
Kamera:
Fabio Zamarion
Schnitt:
Massimo Quaglia
Musik:
Ennio Morricone
Ausstattung:
Tonino Zera
Produktion:
Medusa,
Manigolda Films
Darsteller:
Xenija Rappoport (Irena),
Michele Placido (Muffa),
Claudia Gerini (Valeria),
Piera Degli Esposti (Gina),
Alessandro Haber (Matteo), Clara Dossena (Tea),
Angela Molina, Margherita Buy, Pierfrancesco
Favino, Nicola Di Pinto,
Simona Nobili, Paolo
Elmo, Gabriella Barbuti
INHALT
GIUSEPPE TORNATORE ÜBER LA SCONOSCIUTA
wichtiges Thema, über das auch in den
Medien sehr viel berichtet wird. Aber
in LA SCONOSCIUTA geht es nicht nur
darum, sondern auch um den illegalen
Handel mit Kindern. Meiner Meinung
nach müsste dieses Thema sehr viel
mehr Öffentlichkeit bekommen – und
vielleicht sorgt ja mein Film dafür. Anfangs habe ich verschiedene Möglichkeiten ausprobiert, diese Geschichte zu
erzählen, und mich dann entschlossen,
es in Form eines Krimis zu machen. Ich
war überzeugt, dass das Geheimnisvolle am besten zum Film passen und es
leichter machen würde, sich mit dieser
ernsten Problematik auseinander zu
setzen. Was die Musik betrifft: Ennio
Morricone und ich sind seit mehr als
20 Jahren befreundet. Es macht mich
sehr stolz, dass er immer wieder gerne
mit mir zusammenarbeitet. Für mich ist
es in der Zwischenzeit die natürlichste
Sache der Welt, ein Projekt, das ich
ins Auge fasse, zunächst mit Ennio zu
besprechen.
Fast alle meiner bisherigen Filme
waren von einer gewissen Leichtigkeit
getragen. Dennoch wechsle ich auch
gerne das Genre und die Stilelemente
und versuche, andere Erzählweisen zu
finden. Solche Veränderungen halten
mich wach – und jung. Und gerade in
diesem Fall hatte ich das Gefühl, dass
die Geschichte eine gewisse Schwere
und Ernsthaftigkeit erfordert. Sexuelle
Gewalt gegen Frauen ist natürlich ein
Mit LA SCONOSCIUTA hat Giuseppe
Tornatore sechs Jahre nach MALÈNA
einen Film Noir mit Thriller-Elementen
gedreht. Die Erzählperspektive wird
bestimmt von einer unheimlichen
Atmosphäre in der die unterschwellige
Gewalt in jeder Einstellung zu spüren
ist. Die zumeist dunklen Bilder werden
darüber hinaus unterstrichen durch die
Vor einigen Jahren ist die aus der
Ukraine stammende Irena mit einem
Koffer voller Geld in einer norditalienischen Stadt angekommen, hat sich
eine eigentlich viel zu teure Wohnung
gemietet und sich im gegenüberliegenden Haus um eine Arbeit als
Haushälterin bemüht – mit Erfolg. Bald
schon hat Irena sich in der Familie
Adacher unentbehrlich gemacht,
doch dann wird klar, dass mit Irena
irgendetwas nicht stimmt. Sie entwickelt ein rätselhaftes Interesse an den
Familienmitgliedern, vor allem aber an
der kleinen Tea, mit der sie sich nach
anfänglichen Schwierigkeiten anfreundet. Dass auf Irenas Vergangenheit
ein dunkler Schatten lastet, wird umso
deutlicher, als eines Tages der finstere
Zuhälter Muffa in der Stadt auftaucht
und damit eine Spirale von Gewalt und
Lügen in Gang setzt, die sich nicht
mehr stoppen lässt.
Pressestimmen
fesselnde Musik von Ennio Morricone,
der es wie immer meisterhaft vermag,
die Anspannung und die Angst der
Protagonisten durch an Alpträume und
Halluzinationen erinnernden Klangfarben noch zu intensivieren. Die Leistung
des gesamten Schauspielerensembles
ist fulminant, aber an erster Stelle ist die
der russischen Theaterschauspielerin
Xenija Rappoport zu nennen, die die
Figur der Irena bis ins Innerste erforscht
und deren doppeldeutigen Charakter
zeigt. Ihr Peiniger wird von Michele
Placido verkörpert, der in der Rolle eines
Bösewichts brilliert. Insgesamt ist es
Tornatore bestens gelungen, seine Darsteller zu Höchstleistungen anzuregen.
— Gian Luigi Rondi, Il Tempo
LA SCONOSCIUTA ist zugleich psychologischer Krimi und femininer Film noir.
Giuseppe Tornatore, einer der begabtesten und vielseitigsten Regisseure
seiner Generation, schlägt mit diesem
Film eine atemberaubend alptraumhafte
Tonart an, die sich in den Augen, Gesten und Handlungen der Protagonisten
zeigt, die an zweideutige und unheimliche Wesen auf den Spuren Hitchcocks
und Polanskis erinnern. Damit schafft
er Verbindungen und Verzweigungen in
einer spannenden filmischen Erzählung,
die mitunter grausam und hart ist – aber
auch daran zeigt sich das visionäre
Talent Tornatores in all seinen Facetten.
— Valerio Caprara, Il Mattino
Sonntag, 07.12.
11:30 Uhr
Hommage Giuseppe Tornatore
LA LEGGENDA DEL
PIANISTA SULL’OCEANO
Die Legende vom
Ozeanpianisten
gisseur geworden wäre, hätte auch ich
mich nur mit Musik beschäftigt. Für Novecento ist Musik eine Möglichkeit, um
in Verbindung zu treten, sich den festen
Boden, auf den er nie einen Fuß setzen
wird, neu zu erfinden. Sein Leben wird
so zu einer Allegorie auf die Unsicherheit
des Lebens. Vielleicht kommt jeder von
uns von einem Schiff, das er eigentlich
nie verlassen hat.
Italien 1998 · 165 Minuten · OF mit engl./frz. UT
Regie:
Giuseppe Tornatore
Drehbuch:
Giuseppe Tornatore,
nach einem Stück von
Alessandro Baricco
Kamera:
Lajos Koltai
Schnitt:
Massimo Quaglia
Musik:
Ennio Morricone
Ausstattung:
Francesco Frigeri
Produktion:
Francesco Tornatore
für Medusa Film, Sciarlò
Darsteller:
Tim Roth (Novecento),
Pruitt Taylor Vince
(Max), Bill Nunn (David
Boodman), Clarence
Williams III (‚Jelly Roll‘
Morton), Mélanie Thierry
(Das Mädchen), Gabriele
Lavia, Peter Vaughan,
Niall O’Brien, Alberto
Vazquez, Luigi De Luca
INHALT
Am Neujahrsmorgen des Jahres 1900
wird an Bord eines zwischen Europa und
Amerika pendelnden Ozeandampfers ein
Neugeborenes ausgesetzt. Der Heizer
des Schiffs, der den Säugling findet
und sich seiner annimmt, gibt ihm den
Namen Novecento, zu Ehren des neuen
Jahrhunderts, das gerade begonnen hat.
Novecento bleibt an Bord und nach dem
Tod seines Adoptivvaters wird er von der
gesamten Schiffsmannschaft gemeinsam
erzogen. Tagtäglich beobachtet Novecento die bunte Welt der Passagiere, die
reichen Herrschaften in der ersten Klasse,
die Emigranten, die von einem neuen
Leben in Amerika träumen und er verliert
sich beim Betrachten der Weite des Ozeans. Als er größer wird, entdeckt er seine
Liebe zur Musik: Er wird der begnadete
und gefeierte Pianist der Bordkapelle und
freundet sich mit dem Trompeter Max an.
Doch niemals verlässt er das Schiff, das
seine Heimat geworden ist.
GIUSEPPE TORNATORE ÜBER
LA LEGGENDA DEL PIANISTA SULL’OCEANO
Mir hat Alessandro Bariccos Geschichte
von Novecento, der als Säugling in einem
Korb auf dem Klavier in der ersten Klasse
eines Ozeandampfers ausgesetzt wird und
dann ausschließlich auf dem Schiff aufwächst, sofort gefallen. Novecento kann
weder Noten lesen noch schreiben, aber
er spielt auf eine Weise Klavier, wie sie
noch keiner gehört hat. Er ist buchstäblich
von Musik fasziniert. Wenn ich nicht Re-
32 und dessen Meister Fellini war. Von all
diesen Momenten finden sich viele in
Tornatores Film und man könnte fast
von einer Hommage an Fellini sprechen.
Mit diesem Film bestätigt Tornatore,
dass er ein Regisseur der Ideen und
Empfindungen ist, der zugleich von
einer Vision des Kinos getrieben wird,
das aus Gefühlen, aber auch gestalterischem Willen besteht.
— Irene Bignardi, la Repubblica
Pressestimmen
Mit LA LEGGENDA DEL PIANISTA
SULL’OCEANO stellt sich das Wunder
des Kinos ein, wie es stets bei großen
Filmen der Fall ist. Nicht allein wegen der
gelungenen Inszenierung, vielmehr deswegen, weil dieser Film an die Tradition
eines Kinos anknüpft, das es heutzutage kaum mehr gibt: Ein fantastisches,
visionäres, wagemutiges, ambitioniertes
Kino, das lange Zeit Teil unserer Kultur
Im Grunde erzählt jeder Film von
Tornatore von einer großen Obsession. Seine wahrhaftigsten Charaktere
haben immer eins gemeinsam: Es sind
vom Leben gezeichnete, einsame Menschen, die nicht aus eigenem Antrieb
handeln, sondern sich wie Figuren auf
einem Schachbrett bewegen. Einer
der interessantesten dieser TornatoreCharaktere ist die Figur des Pianisten
Novecento. Er sieht, wie das Leben
an ihm vorbeizieht, ist aber unfähig,
realen Boden zu betreten. Man kann
auch sagen, dass Tornatores Film ein
Film über Geister ist. LA LEGGENDA
DEL PIANISTA SULL’OCEANO ist aber
auch ein Film über die Unmöglichkeit
zu lieben und zu leben.
— Emanuela Martini, Cineforum
Montag, 08.12.
20:30 Uhr
Hommage Giuseppe Tornatore
33 L’UOMO
DELLE STELLE
Der Mann, der die
Sterne macht
Italien 1995 · 110 Minuten · OmU
Regie:
Giuseppe Tornatore
Drehbuch:
Fabio Rinaudo,
Giuseppe Tornatore
Kamera:
Dante Spinotti
Schnitt:
Massimo Quaglia
Musik:
Ennio Morricone
Ausstattung:
Francesco Bronzi
Produktion:
Rita Cecchi Gori,
Vittorio Cecchi Gori für
Cecchi Gori Group
Darsteller:
Sergio Castellitto (Joe
Morelli), Tiziana Lodato
(Beata), Leopoldo
Trieste (Der Stumme),
Leo Gullotta (Vito),
Franco Scaldati (Wachtmeister Mastropaolo),
Nicola Di Pinto (Gemeindebeamter),
Tony Sperandeo, Tano
Cimarosa, Simona
Merito, Clelia Rondinella
INHALT
Mit einem klapprigen Kleinlaster und
einer Filmkamera zieht Joe Morelli
Anfang der 1950er Jahre durch Sizilien
und lässt die naiven Dorfbewohner
glauben, er sei ein Talent-Scout der
Universal Filmstudios in Rom, der
Probeaufnahmen für einen geplanten
Film machen will – in Wahrheit ist die
Kamera leer und Morelli ein Betrüger,
der sich lediglich bereichern will und die
Gutgläubigkeit der Menschen ausnutzt.
So wechseln sich vor seiner leeren Kamera für 1.500 Lire vertrauensvolle Bauern, Kinder, Hausfrauen, Polizisten und
Verkäufer ab, immer voller Hoffnung
»entdeckt« zu werden. Erst durch die
Begegnung mit der schönen Beata beginnt Morelli sein skrupelloses Handeln
zu überdenken, doch die Polizei ist ihm
bereits auf die Schliche gekommen.
GIUSEPPE TORNATORE ÜBER L‘UOMO DELLE STELLE
Sizilien ist die Welt, die ich in mir trage,
und die mich inspiriert, denn diese
Welt kenne ich am besten und darin
kann ich mich wiedererkennen. Wir
Sizilianer sind im Grunde alle Träumer
und haben etwas, was Luigi Pirandello
bereits erkannt hatte: den Mut unsere
Gefühle bis ins Extreme zu steigern.
Daher nimmt Sizilien in all meinen
Filmen eine wichtige Rolle ein, auch in
denen, die gar nicht vor sizilianischer
Kulisse spielen. Das ist normal. Der Ort,
an dem wir geboren und aufgewachsen
sind, beeinflusst unsere Art, die Welt zu
schwemmt. Mit diesem Film beschreitet Giuseppe Tornatore einen neuen
Weg in seiner Karriere: Er erzählt nicht
nur eine einfache Geschichte, sondern
zugleich eine gesellschaftspolitische
Parabel über Illusionen und den von
Wenigen fortwährend begangenen Betrug: »Es muss uns nur einer Reichtum
und Erfolg versprechen und wir fallen
alle darauf herein.«
— Lietta Tornabuoni, La Stampa
sehen. Jeder verdankt dem Ort, an dem
er geboren ist und in den ersten Jahren
seines Lebens gelebt hat, viel.
Pressestimmen
L’UOMO DELLE STELLE erzählt vom
Vordringen des Kinos in Landstriche, in
denen die Bewohner ganzer Gemeinden die Dialoge aus GONE WITH THE
WIND (Vom Winde verweht, 1939)
üben, um sich auf ein Vorsprechen
vorzubereiten. Wenn sie von sich
selbst und ihrem Leben erzählen, wird
die Leinwand von einer ergreifenden
Flut aus Leidenschaften, unerfüllten
Sehnsüchten, Lebensschmerz, Eitelkeit,
Buffonerie und dem Bedürfnis, das
karge Leben hinter sich zu lassen, über-
L’UOMO DELLE STELLE ist scheinbar
eng mit NUOVO CINEMA PARADISO verwandt. In beiden Filmen spielt
das Kino eine zentrale Rolle. Aber wo
die Geschichte von NUOVO CINEMA
PARADISO noch nah am Bildungsroman und dem Melodram angesiedelt
ist, beschreitet L’UOMO DELLE STELLE
einen ganz anderen Weg und erzählt
vom Kino als einem Ort der Sehnsucht –
und zeichnet zugleich das Porträt eines
»Mannes mit der Kamera«, der dennoch
unfähig ist, zu sehen, was direkt vor
seinen Augen passiert. Das Sizilien in
L’UOMO DELLE STELLE ist nicht nostalgisch, sondern dekadent, nicht sonnig,
sondern erdrückend heiß und wirkt
fast wie ein Ort des Todes. Auch die
Filmausrüstung ist kein Fetisch mehr,
sondern ein Sinnbild für das Scheitern
sowohl der Hauptfigur, als auch des Kinos, das seine eigentliche Bestimmung
längst verraten hat.
— Francesco Falaschi, Segnocinema
Samstag, 29.11.
19:00 Uhr
Eröffnung
Verso Sud 20
Am 29.11. zu Gast:
Giuseppe Tornatore
NUOVO
CINEMA
PARADISO
Cinema Paradiso
Samstag, 06.12.
20:00 Uhr
Hommage Giuseppe Tornatore
Am 06.12.
+
VORFILM
LA FLAMME
Frankreich 2000.
Regie: Ron Dyens.
2 Min. o.D.
Italien/Frankreich 1988 · 123 Minuten · OmeU
Regie:
Giuseppe Tornatore
Drehbuch:
Giuseppe Tornatore,
Vanna Paoli
Kamera:
Blasco Giurato
Schnitt:
Mario Morra
Musik:
Ennio Morricone
Ausstattung:
Andrea Crisanti
Produktion:
Franco Cristaldi für
Cristaldi Film
Darsteller:
Philippe Noiret (Alfredo),
Salvatore Cascio (Totò),
Jacques Perrin (Totò als
Erwachsener), Leopoldo
Trieste (Don Adelfio),
Agnese Nano (Elena),
Pupella Maggio (Maria,
die Mutter von Totò),
Marco Leonardi (Totò
als Kind), Antonella
Attili, Enzo Cannavale,
Isa Danieli, Leo Gullotta
INHALT
Zwei Jahre nach Kriegsende ist in dem
sizilianischen Dorf Giancaldo das Kino
die einzige Möglichkeit der Unterhaltung.
Der alte Filmvorführer Alfredo weiht den
zehnjährigen Totò, einen fanatischen
Kinogänger und Sohn eines im Krieg
Vermissten, in die Geheimnisse des
Kinos ein. Als eines Tages Projektor und
Film Feuer fangen und Alfredo daraufhin
das Augenlicht verliert, übernimmt Totò
dessen Arbeit. Totò wird älter und verliebt sich in Elena, doch er erhält einen
Einberufungsbefehl und die zahlreichen
Briefe, die er an Elena schreibt, bleiben
unbeantwortet. Dreißig Jahre später:
Totò, der nie wieder in sein Heimatdorf
zurückgekehrt ist, ist ein bekannter
Regisseur geworden. Eines Tages erhält
er die Nachricht vom Tod seines alten
Freundes Alfredo und er kehrt heim.
Doch er findet alles verändert vor. Sogar
das inzwischen baufällige Kino soll abgerissen werden.
GIUSEPPE TORNATORE ÜBER
NUOVO CINEMA PARADISO
Ich bin 1956 geboren, also rechtzeitig
genug, um mitzuerleben, wie die Kinos
erfüllt von lärmenden, ausgelassenen
Menschen waren. Eine Zeit also, in der
der Kinobesuch für alle ein Fest war. In
meinem Heimatdorf Bagheria gab es
eine Art Nuovo Cinema Paradiso und ich
erinnere mich an viele Nachmittage, die
ich an der Seite der etwas ignoranten,
aber ihren Beruf liebenden Filmvor-
führer im Vorführraum verbracht habe.
Diese Vorführer waren es auch, die
mich in die Geheimnisse des Films
eingeführt haben. Es war herrlich.
Kino ist meine Leidenschaft geblieben.
Ich habe darüber gelesen, es studiert
und von anderen geklaut. Als Kind
bin ich den Leuten nachgeschlichen,
habe sie ausspioniert und mir fantastische Geschichten über ihre Gesichter
ausgedacht. Federico Fellini hat mir
einmal gesagt, dass NUOVO CINEMA
PARADISO der Film eines 60-jährigen
zu sein scheint. Ich habe nie verstanden, ob das ein Kompliment oder ein
Vorwurf ist, aber ich weiß ganz sicher,
dass in NUOVO CINEMA PARADISO
meine ganze Liebe und Leidenschaft
für das Kino steckt.
Pressestimmen
NUOVO CINEMA PARADISO ist nach
IL CAMORRISTA der zweite Film des
32-jährigen Giuseppe Tornatore, der
sowohl das Drehbuch geschrieben als
auch Regie geführt hat. Entstanden
ist ein bemerkenswerter und in weiten
Strecken autobiographischer Film, mit
dem Tornatore sein Talent als begabter
junger Regisseur beweist. Mit dieser
sehr persönlichen filmischen Erzählung erfindet Tornatore die Geschichte
des Kinos neu, er feiert darin dessen
Mythos und erzählt gleichzeitig voller
ironischer und zärtlicher Melancholie
von einer großen Freundschaft. Neben
den wunderschönen Bildern und
einem perfekten Erzähltempo besticht
NUOVO CINEMA PARADISO auch
durch seine großartigen Schauspieler,
allen voran Philippe Noiret in seiner
Rolle als Alfredo.
— Giovanni Grazzini, Corriere della Sera
NUOVO CINEMA PARADISO ist ein
exemplarischer und erhellender Film,
getragen von einer realistischen und
zugleich melodramatischen Geschichte und den Erinnerungen Tornatores
an die magischen Orte seiner Kindheit.
Somit ist der Film auch eine sehr persönliche Hommage Tornatores an eine
Epoche, an Sizilien und an das Kino.
Das Gesicht des großartigen Philippe
Noiret ist zugleich ein Andenken an
eine längst vergangene Zeit, der mythischen Epoche des Kinos.
— Sauro Borelli, L’Unità
34 Lecture & Film
Oktober 2014 bis Juli 2015 im Kino des Deutschen Filmmuseums, Frankfurt
35 Die Revolution
findet trotzdem statt
Das Kino von
Pier Paolo Pasolini
Das
Die
von findet
trotzdem
statt:
Programm November 2014 bis Juli 2015:
Revolution
30.10. Vinzenz Hediger / Frankfurt
06.11.
Rembert Hüser / Frankfurt
20.11.
Klaus Theweleit / Freiburg
18.12.
Toni Hildebrandt / Bern
15.01.
Massimo Fusillo / L’Aquila
22.01.
Luca Caminati / Montreal
05.02.
Thomas Waugh / Montreal
Kino
Pier Paolo
Pasolini
16.04.
Regine Prange / Frankfurt
30.04.
Bernhard Groß / Braunschweig
07.05.
Veronica Pravadelli / Rom
21.05.
Angela Keppler / Mannheim
11.06.
Hervé Joubert-Laurencin / Paris
25.06.
Ursula Frohne / Köln
09.07.
Cesare Casarino / Minneapolis
Beginn jeweils 20:15 Uhr
Gestaltung: Erik Stein, c--y.net/grafik/
Lecture & Film
Kino des Deutschen Filmmuseums
Frankfurt am Main
Oktober 2014 bis Juli 2015
www.pier-paolo-pasolini.de
Die Veranstaltungen finden im Deutschen Filmmuseum, Schaumainkai 41, Frankfurt am Main statt, und bestehen aus Vortrag, Filmvorführung und anschließender
Diskussion. Das Lecture-Programm wird ergänzt durch eine Filmreihe mit Werken von Regisseuren, die Pasolini beeinflusst haben, oder die seine Themen aufgriffen –
jeweils mittwochs und samstags um 18 Uhr am gleichen Ort.
Eine Veranstaltungsreihe der Goethe-Universität (Institut für Theater-, Film- und Medienwissenschaft; Institut für Kunstgeschichte; Institut für romanische Sprachen
und Literaturen) und des Kinos des Deutschen Filmmuseums im Rahmen der hFMA und in Kooperation mit der b3 – Biennale des Bewegtbildes.
STADT
FRANKFURT AM MAIN
In der Reihe Lecture & Film gehen
namhafte internationale Experten der Ansteckungskraft von Pier Paolo Pasolinis
Kino auf den Grund und setzten sich in
Vorträgen, in Diskussionen und anhand
ausgewählter Filme mit Pasolinis Werk
auseinander.
Das Lecture-Programm wird ergänzt
durch eine Filmreihe mit Werken von
Regisseuren, die Pasolini beeinflusst,
oder die seine Themen aufgegriffen
haben – jeweils mittwochs und samstags
um 18.00 Uhr im Kino des Deutschen
Filmmuseums.
Eine Veranstaltungsreihe der GoetheUniversität (Institut für Theater-, Filmund Medienwissenschaft; Institut für
Kunstgeschichte; Institut für romanische
Sprachen und Literaturen) und des
Kinos des Deutschen Filmmuseums im
Rahmen der Hessischen Film und
Medienakademie und in Kooperation
mit b3 – Biennale des bewegten Bildes.
www.pier-paolo-pasolini.de
Do 20.11.2014 · 20:15 Uhr
Lecture:
Klaus Theweleit – Der andalusische Hund von Saló
Film:
Salò o le 120 giornate di Sodoma
(Italien 1975, 145 Min. Omfdu)
Do 18.12.2014 · 20:15 Uhr
Lecture:
Toni Hildebrandt – La sequenza di fiore di
carta – Das Subjekt in der Plansequenz und
die Allegorie politischer Unschuld
Filmprogramm:
La sequenza del fiore di carta
(Italien 1969, 12 Min. OmeU)
Il Vangelo secondo Matteo
(Italien 1964, 131 Min. OmeU)
Do 15.01.2015 · 20:15 Uhr
Lecture:
Massimo Fusillo – Mythos und Kino.
Über Pasolinis Griechenland
Film:
Medea (Italien 1969, 110 Min. OmeU)
Do 22.01.2015 · 20:15 Uhr
Lecture:
Luca Caminati – Pasolinis Dritte Welt
Filmprogramm:
Sopralluoghi in Palestina
(Italien 1965, 55 Min. OmU)
Le Mura di Sana’a (Italien 1971, 16 Min. OF)
Appunti per un film sull’India
(Italien 1968, 35 Min. OF)
Do 05.02.2015 · 20:15 Uhr
Lecture:
Thomas Waugh – Queer Pasolini?
Film:
Teorema (Italien 1968, 105 min. OmeU)
Do 16.04.2015 · 20:15 Uhr
Lecture:
Regine Prange – Das blinde Sehen.
Geschichte und Mythos in Edipo Re
Film:
Edipo Re (Italien 1967, 119 Min. OmeU)
Do 30.04.2015 · 20:15 Uhr
Lecture:
Bernhard Groß – PPP & MGM. Genre und
Serialität bei Pasolini am Beispiel des
Decamerone und der ‚Trilogie des Lebens’
Film:
Decamerone (Italien 1971, 106 Min. OmeU)
Do 07.05.2015 · 20:15 Uhr
Lecture:
Veronica Pravadelli – Jenseits der Sprache,
zwischen den Medien. Über Pasolinis Kurzfilme
Filmprogramm:
La ricotta (Italien 1962, 40 Min. OF)
Che cosa sono le nuvole (Italien 1967 OmeU)
La terra vista dalle nuvole
(Italien 1967 OmeU)
La sequenza del fiore di carta
(Italien 1969 OmeU)
Do 21.05.2015 · 20:15 Uhr
Lecture:
Angela Keppler – Reden und sehen lassen.
Pasolinis filmische Ethnografie in Comizi d’Amore
Film:
Comizi d’Amore (Italien 1965, 92 Min. OmU)
Do 11.06.2015 · 20:15 Uhr
Lecture:
Hervé Joubert-Laurencin – Accatone,
Bettler des Lebens
Film:
Accatone (Italien 1961, 116 Min. OmfdU)
Do 25.06.2015 · 20:15 Uhr
Lecture:
Ursula Frohne – La rabbia (1963). Pasolinis
Zorn über den Stand der modernen Welt
Film:
La Rabbia di Pasolini
(Italien 1963/2008, 104 Min. OmeU)
Do 09.07.2015 · 20:15 Uhr
Lecture:
Cesare Casarino – Nation, Pigs, and
Cha-cha-cha in Pasolinis Mamma Roma
Film:
Mamma Roma (Italien 1962, 106 Min. OmeU)
Deutsches Filminstitut
Deutsches Filmmuseum
Schaumainkai 41
60596 Frankfurt am Main
www.deutsches-filmmuseum.de
Made in Italy, Rom
Ministero dei Beni e delle Attività Culturali e del Turismo, Rom
Istituto Italiano di Cultura, Köln